Rod Stewart | Biografie

Rod Stewart: “Blood Red Roses” , 2018

Rod Stewart
„Blood Red Roses“
 
„Ich denke eigentlich jedes Mal, dass ich meine Alben für ein paar Freunde aufnehme – und das neue Album hat genau diese Intimität, finde ich“, sagt Sir Rod Stewart über sein 30. Studioalbum, „Blood Red Roses“. „Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit machen sich früher oder später im Leben bezahlt, und dasselbe gilt auch für Songwriter.“
 
Auf diesem neuen Album, einer zutiefst persönlichen Sammlung von Songs, abgerundet übrigens mit drei wunderschönen Coverversionen, läuft Rod Stewart zu absoluter Höchstform auf: So umwerfend wie hier klang er selten in seiner langen, langen Karriere. Dieser Sound, diese Stimme: unverkennbar Rod Stewart. Und während er seinen unaufgeregten, grandios bodenständigen Blick auf große Themen (Liebe, Verlust, Verlangen, Sucht etc.) richtet, sind diese neuen Songs so nuancenreich gestrickt, wie es nur ein Meister seines Fachs versteht. Auch seine Stimme, die mal rau, mal ganz sanft klingt, ist immer noch die alte: James Browns Aussage, Rod Stewart sei „der beste weiße Soulsänger“, gilt also nach wie vor.
 
Erst Ende 2016 zum Ritter geschlagen, gleich zweifach in die Rock & Roll Hall of Fame aufgenommen, dazu dekoriert mit Grammy, ASCAP Songwriting Awards und Co., hat Rod Stewart in den fünf Jahrzehnten, die seine Ausnahmekarriere inzwischen umspannt, weltweit mehr als 200 Millionen Alben und Singles verkauft. Dabei gibt es eine Sache, die womöglich noch wichtiger ist als diese unglaublichen Auszeichnungen und Erfolge: Die Tatsache, dass Rod nach wie vor einer von uns ist.
 
Seine wunderbar raue, warm klingende Gesangsstimme ist jedem von uns bestens geläufig, schließlich war sie immer wieder, in jedem der letzten Jahrzehnte, als Soundtrack zum eigenen Leben zu hören; was jedoch seine kreative Handschrift angeht, die Stimme des Songwriters Rod Stewart also, gab es da durchaus unterschiedliche Phasen in seiner Karriere. Gewiss stammen etliche Klassiker aus seiner Feder: „Maggie May“, „The Killing Of Georgie“, „You Wear It Well“, „I Was Only Joking“ oder auch „Young Turks“ – aber er selbst gibt ganz offen zu, dass es zwischendurch auch Zeiten gab, in denen die Musen einen großen Bogen um ihn gemacht haben. „Sobald ich dann aber mit dem Schreiben meiner Autobiografie fertig war, vor ein paar Jahren, öffneten sich die Tore wieder“, so Stewart. „Das war ein richtiger Wendepunkt.“
 
Klarer Fall: Während der Aufnahmen zu „Blood Red Roses“ sprudelten die Ideen wie selten, an Inspiration mangelte es kein bisschen. Inhaltlich widmet sich der Brite im Verlauf der neuen Songs den eher schwierigen Themen des Lebens: Der Verblendung beispielsweise, die eine allererste Liebe schließlich in Schmerz verwandelt; den letzten Worten an einen Freund, dazu den ganzen Qualen und Freuden, die dazwischen aufflackern.
 
Auch klanglich ist die Palette enorm groß: Stewart bewegt sich nahtlos zwischen den Stilen, mal ist es Folk, mal fingerschnipsender Motown-Sound, dann wieder Rock & Roll in Reinform oder auch eine Ballade, deren emotionale Wucht einen umhaut. Mit der ersten Single „Didn’t I“ wirft er einen Blick auf „Kids und Drogen, betrachtet aus der Perspektive von Mama und Papa“, so der Sänger.
 
„Eigentlich schon irgendwie lustig, dass ein Rockstar einen derartigen Song singt“, gesteht er. „Aber es ist auch kein richtiger Anti-Drogen-Song, obwohl man auch das da reininterpretieren kann – aber es ist in jedem Fall ein Stück, das zu Vorsicht rät.“
 
Ganz anders hingegen der Song „Farewell“, mit dem er sich von einem verstorbenen Freund verabschiedet; ein Stück übrigens, das wie kaum ein anderer Song auf die Tränendrüsen drückt. „Es vergeht wirklich kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke“, sagt Rod über seinen „wirklich richtig engen Freund“ Ewan Dawson. „Er war so eine Art Bruder für mich.“
 
Eine moderne Moralgeschichte, erzählt aus der Perspektive eines älteren Mannes, ist „Look In Her Eyes“: „In dem ist eine kleine Warnung versteckt“, so der Sänger. „Mag an meinen Sohn gerichtet sein oder an seine Freunde… sie lautet: ‘Lass es besser nicht drauf ankommen – besonders in Zeiten wie diesen.’“ Im Fall des Duetts „Cold Old London“ trifft Stewarts Stimme Töne, die ein Mann seines Alters eigentlich gar nicht mehr treffen dürfte. „Now I’m getting older and the girls are getting younger“, singt er melancholisch, ganz der alte(-rnde) Schurke, und sieht ein, dass es womöglich schon zu spät ist für ihn: „Maybe it’s too late for me.“
 
Mit dem Song „Julia“ blickt er ohne Umschweife auf seine allererste Liebe und die damit verbundenen Schmerzen zurück: Ein harter Schlag, den der 10-jährige Rod erst mal verdauen musste. Und gleich danach wirft Stewart alle Erwartungen durcheinander, wenn er einen astreinen Shanty inklusive Fiddle & Co. einstreut: Der Titelsong handelt davon, wie bang einem Segler doch ums Herz werden kann, wenn er plötzlich einen 20 Meter langen Wal vor sich auftauchen sieht. Von „Sailing“ zu „Whaling“, könnte man also sagen – aufregend und abwechslungsreich war die Reise bis hierhin allemal! Wie auch auf Albumlänge, ist es Stewarts einzigartige Perspektive auf die Dinge – er klingt etwas erschöpft, aber weise; vor allem aber immer noch prägnant und witzig –, die diesen Song auszeichnet und zugleich den Kern des Albums bildet. „Wer schreibt schon heute noch einen Song über Wale?“, fragt er lachend, „ICH! So sieht’s aus!“
 
Da passt es doch, dass sich Stewart während unseres Gesprächs auf einer Yacht befindet. Vor ihm liegt der Golf von Neapel, und seine Laune könnte besser nicht sein, schließlich waren die ersten Reaktionen auf „Blood Red Roses“ durch die Bank positiv – weshalb er ernsthaft mit dem Gedanken spielt, sich zum Lunch ein schönes Gläschen Rosé zu genehmigen, um dann weiter auszuholen, mehr zu erzählen von der Entstehung dieses unglaublich persönlichen Longplayers. „Ist schon lustig, sie sind echt sehr persönlich, aber wirklich schwierig finde ich diese Songs erst, wenn ich sie mir jetzt noch mal mit ein wenig Abstand anhöre. Während der Aufnahmen ist man fast schon zu dicht dran, aber jetzt, wenn ich die fertigen Stücke nun noch mal höre, dann denke ich: ‘Das ist schon ein mutiges Statement, das du da gemacht hast.’“
 
„Über den Tod deines besten Freundes zu schreiben…“, holt er aus, stockt dann aber, weil ihm die Worte fehlen. „Zu hören, dass auch anderen diese Songs gefallen, das hat mich sehr ermutigt. Das gibt einem das nötige Selbstvertrauen, um weiterzumachen.“ Aufgenommen mit seinem angestammten Co-Produzenten Kevin Savigar, entstand „Blood Red Roses“ auf recht untypische Weise, zumindest gemessen an gewissen Rockstar-Standards: Es wurde kein Chateau mit Top-Catering angemietet; auch riesige, renommierte Studios wurden nicht für Wochen geblockt… „Stattdessen sind die meisten dieser Songs auf transatlantische Weise aufgenommen“, sagt er etwas kryptisch, ergänzt dann aber: „Kevin hat mir einfach seine Ideen für den jeweiligen Song rübergeschickt, dann hab ich ein paar Änderungen vorgenommen und eine erste Rohversion des Gesangs darübergelegt. Danach sind wir damit erst mal auf Tour gegangen: Mit der Band haben wir den Feinschliff gemacht, bis alles gepasst hat.“
 
„Was auch bedeutet, dass wir uns nicht mal in die Nähe eines traditionellen Studios begeben haben, was großartig war. Alles passierte in Hotelzimmern oder im Backstage-Bereich nach einem Konzert. Wir blieben einfach noch ein paar Stunden da, und wenn wir Lust hatten, drückten wir die Aufnahmetaste. Ist wirklich toll, auf diese Art ein Album aufzunehmen.“
 
„Und dann bedeutete es natürlich auch, dass wir nicht monatelang eingesperrt waren an ein und demselben Ort. So viele Jahre habe ich in öden Studios verbracht, ohne wirklich dort sein zu wollen – gerade wenn man z.B. anderthalb Stunden daneben sitzt, bis der Sound der Bass Drum endlich passt. Viel Zeit wird da verschwendet, viel Geld natürlich auch, das darf man auch nicht vergessen.“
 
Auch für das Schreiben der Songs gingen Stewart und Savigar ähnlich pragmatisch vor: „Ich wasche ab, du trocknest ab“ – so ungefähr lautete die Devise. „Ich fing zum Beispiel an, indem ich einen Titel in die Runde warf, oder Kevin schickte mir eine Melodie und dann überlegte ich hin und her, sang einfach drauflos, bis etwas Gutes dabei herauskam“, so der Sänger. So beliebig das klingt, stießen die beiden doch immer wieder auf Gold: Auf „Blood Red Roses“ tummeln sich etliche Songs, die alle das Zeug zum Liveshow-Highlight haben. Das herzzerreißende „Grace“ und das knallhart-rockige „Hole In My Heart“ haben sich bereits als genau das entpuppt, denn Stewart hat sie aus gutem Grund in jedes seiner zurückliegenden Konzerte in Las Vegas eingestreut…
 
Auch „Honey Gold“, eine Charakterstudie einer enigmatischen Frau, deren Melodie dezent an „Tonight’s The Night“ anknüpft, ist ein absolutes Highlight: fantastisches Storytelling, ein paar mysteriöse Andeutungen, dazu ein Refrain, der so groß ist wie ein ganzes Land. Mit Plateau-Heels kommt „Give Me Love“ daher, wobei Stewart in diesem Fall sogar ein ganz neues Genre begründet – Disco-Blues. „Eine schräge Kombination, klar, aber es funktioniert“, wundert er sich selbst. „Es sollte sich wie ein Stück aus den Siebzigern anfühlen, und ich glaube, das ist uns auch gelungen.“
 
Und wenn „Give Me Love“ an Stewarts immer noch unterschätzte „Do Ya Think I’m Sexy“-Phase anknüpft, dann ist „Look In Her Eyes“ ganz klar im EDM-Sound des Hier und Jetzt verankert: Ein clubtauglicher Remix von diesem Track könnte durchaus demnächst auf sämtlichen Dancefloors von Ibiza zu hören sein… „Ja, warum denn auch nicht?“, lacht Stewart. „So ein Tänzchen lieben wir doch alle, vor allem meine Frau.“
 
Man merkt, dass die Dinge richtig gut laufen für Rod Stewart. Alles sieht rosig aus – dank „Blood Red Roses“. „Es könnte echt nicht besser sein“, trällert er zum Abschluss. „Ich habe gerade erst zwei ausverkaufte Shows im Hollywood Bowl gespielt, und dann steht ja nächstes Jahr die große Tour an. Das wird großartig, endlich meine ganzen alten Freunde und meine Fans wiederzusehen.“
 
„Ich bin so stolz auf dieses Album, und die Leute geben mir jetzt schon tolles Feedback – da geht’s einem natürlich verdammt noch mal super!“, lacht er und klingt ein bisschen wie ein Pirat. Sieht so aus, als würde sich der zum Lunch angedachte, absolut verdiente Rosé tatsächlich vor ihm materialisieren. „Mein Glas ist richtig gut voll.“
 
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