Seong-Jin Cho | News | Booklettext: Seong-Jin Cho - Chopin: Piano Concerto No.2 & Scherzi - 27.8.2021 (VÖ) (DE/EN)

Seong-Jin Cho
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Booklettext: Seong-Jin Cho – Chopin: Piano Concerto No.2 & Scherzi – 27.8.2021 (VÖ) (DE/EN)

24.06.2021
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BRILLANZ UND NEUE REIFE
Mit seinem Ersten Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb sorgte Seong-Jin Cho 2015 weltweit für Aufsehen und erntete viel Kritikerlob. Es folgte eine Studioaufnahme von Chopins Erstem Klavierkonzert, gekoppelt mit den Balladen, und fünf Jahre später kehrt Cho nun zu Chopin zurück und präsentiert als Ergänzung zu seinem früheren Album das Zweite Klavierkonzert samt den vier Scherzi.
Wie viele seiner Kollegen hält auch Cho das e-Moll-Konzert (Nr. 1) für das technisch heiklere, doch das f-Moll-Konzert (Nr. 2) findet er nicht weniger anspruchsvoll. »Man muss die Balance halten zwischen Leidenschaft und Dramatik und den vielen zarten und zerbrechlichen Momenten. Diese Seiten müssen beide zu ihrem Recht kommen.«
Das f-Moll-Konzert erschien nach dem e-Moll-Konzert im Druck und firmiert darum als »Nr. 2«, obwohl es früher entstanden ist. Uraufgeführt wurde es am 17. März 1830 in Warschau bei Chopins erstem Konzert, in dem er ausschließlich eigene Werke spielte. 1831 übersiedelte der 21-jährige Komponist nach Paris und spielte das Konzert auch bei seinem Debüt in der französischen Hauptstadt am 26. Februar 1832, wobei im Publikum so berühmte Musiker saßen wie Felix Mendelssohn und Franz Liszt.
Das Thema des ersten Orchestertutti ist geprägt von starken dynamischen Kontrasten, worauf die Holzbläser mit einem sehr sanften und lyrischen zweiten Thema antworten. Das Klavier setzt mit einer freien, fast schon deklamatorischen Passage ein, um danach eine reich verzierte Variante des ersten Themas zu präsentieren. Im weiteren Verlauf besticht der Solopart durch immer reichere Verzierungen, die aber nie zu hohlem Geklimper verkommen, sondern stets einen klaren melodischen Kern haben. Einige temperamentvolle Orchestereinschübe fungieren als Ruhepausen für den Solisten.
In einem Brief behauptete Chopin, der langsame Mittelsatz sei von seiner unglücklichen Liebe zu Konstancja Gładkowska inspiriert, einer jungen Sängerin und Mitstudentin am Warschauer Konservatorium. Mit seinen langen Cantabile-Phrasen, geschickten Wechseln zwischen verschiedenen Registern und der großen Innigkeit weist dieses Larghetto bereits voraus auf ähnliche Passagen in Chopins späteren Nocturnes, und Liszt schwärmte von der nahezu idealen Vollkommenheit dieses Satzes. Besonders reizvoll ist eine Moll-Episode im Mittelteil, wenn Streichertremoli einen machtvollen rezitativischen Ausbruch des Soloklaviers in Oktavparallelen untermalen.
Das abschließende Rondo kann seine Abstammung von der volkstümlichen Mazurka zwar nicht leugnen, doch Chopin verschiebt die Akzente und Phrasen so geschickt gegen Metrum und Taktstriche, dass es kaum möglich wäre, zu dieser Musik zu tanzen. Und wer wenig von Chopins Orchestrierungskünsten hält, sei darauf hingewiesen, dass Geigen und Bratschen hier col legno (also mit dem Holz des Bogens) spielen sollen.
Als Chopin seine vier Scherzi komponierte, hatte er wohl kaum die ursprüngliche Bedeutung des italienischen Wortes als »Scherz« im Sinn. Mit ihrer Mischung aus atemberaubender Virtuosität und mitreißender Dramatik verfehlen sie nie ihre Wirkung bei Pianisten und Publikum. »Im Konzert habe ich die vier Scherzi schon oft als kleinen Zyklus gespielt«, sagt Cho, »sie passen wirklich gut zueinander und ergänzen sich. Sie sind sehr unterschiedlich in ihrem Charakter, und darüber hinaus gibt es auch noch große Kontraste innerhalb jedes einzelnen Scherzos. So klingen die ersten beiden Akkorde des h-Moll-Scherzos für mich immer wie ein Schrei. Und auch wenn das Hauptthema ein wenig scherzhaft daherkommt, bleibt es doch ein ›Teufelsscherz‹.«
Das b-Moll-Scherzo erfreute sich von Anfang an besonderer Beliebtheit bei Publikum und Interpreten, und schließlich wurde es so oft gespielt, dass Liszt es nicht mehr von seinen Meisterschülern hören mochte. Schumann seinerseits verglich es mit einem Gedicht von Lord Byron, »so zart, so keck, so liebe- wie verachtungsvoll«.
Energische Oktaven im Forte und Piano prägen die Rahmenteile des cis-Moll-Scherzos. Das Trio moduliert nach Des-Dur für ein choralhaftes Thema, das von perlenden Arpeggiokaskaden beantwortet wird. »Für mich ist es das dichteste und leidenschaftlichste der vier Scherzi,« so Cho. »Ich konnte die Kartause von Valldemossa auf Mallorca besichtigen, wo Chopin dieses Scherzo komponiert hat. Heute ist es ein Museum, aber damals war es ein verfallenes Kloster ohne Heizung. Als ich mir vorstellte, wie Chopin mit seiner angeschlagenen Gesundheit unter diesen harten Bedingungen arbeiten musste, konnte ich endlich das innere Drama und die Trostlosigkeit dieser Musik verstehen.«
Das E-Dur-Scherzo ist zwar weniger populär als seine Schwesterwerke (und für Cho ist es »in jeder Hinsicht, sowohl technisch als auch musikalisch, das schwerste der vier«), doch beim wiederholten Hören erweist es sich als überaus lohnendes Werk mit seiner Verbindung von geschmeidigem, duftigem Passagenwerk und überraschenden Ausbrüchen voller Dramatik. »Die Musik greift den brillanten, spektakulären Stil von Chopins frühen Jahren in Warschau auf; im Licht einer neuen Reife wirkt er jedoch milder und weicher.« So ähnlich ließe sich wohl auch Seong-Jin Chos künstlerische Entwicklung beschreiben, die noch viel erwarten lässt.
Jed Distler
 
 
BRILLIANCE SOFTENED BY MATURITY
Seong-Jin Cho garnered international attention and critical accolades through his First Prize victory in the 2015 Warsaw Chopin Competition, followed by a studio recording pairing Chopin’s Piano Concerto No. 1 and four Ballades. Five years later Cho returns to Chopin with a complementary program consisting of the Piano Concerto No. 2 and four Scherzi.
Although Cho shares most pianists’ view that the E minor (No. 1) is the trickier of the two concertos from a technical standpoint, he considers the F minor (No. 2) equally challenging. “One has to find an ideal balance between the music’s passion and drama and its many moments of delicacy and fragility, and I feel that it’s important to represent both of these sides.”
The F minor was the second of Chopin’s concertos to be published, and therefore designated “No. 2”, even though it was written first. The work’s premiere took place in Warsaw on 17 March 1830 with Chopin at the piano, as part of the very first public concert exclusively devoted to his own music. After moving to Paris the following year, aged 21, Chopin performed the concerto at his debut in the city on 26 February 1832, for an audience apparently packed with prominent musicians, including Felix Mendelssohn and Franz Liszt.
The opening ritornello’s first theme stands out for its stark dynamic contrasts, while the woodwinds introduce a second theme characterized by lyrical tenderness. The piano enters in declamatory fashion before settling into a highly ornamented version of the first theme. As the movement develops, the piano writing unfolds with increasing elaboration and decorative detail that somehow never falls into mere note-spinning, and always retains a strong melodic core. Several fiery orchestral passages provide brief respites for the soloist.
In his correspondence Chopin claimed that the central Larghetto was inspired by his love for Konstancja Gładkowska, a young singer classmate at the Warsaw Conservatory. The music’s long cantabiles, ingenious deployment of registers and soul-baring depth presage similar passages in Chopin’s later Nocturnes. Liszt himself wrote of the movement’s almost ideal perfection. The central minor-key episode holds particular interest, where string tremolos underscore an intense, recitative-like outburst in unison octaves from the soloist.
While the rondo finale essentially takes its cue from the traditional mazurka, Chopin almost defies one to dance, due to his inventive displacements of accents and cross-rhythmic phrase groupings. Even those who claim Chopin’s orchestration skills to be indifferent invariably take notice when the violins and violas are instructed to play col legno (with the wood of the bow).
The Italian word “scherzo” literally translates as a “joke”, although one doubts that Chopin had that in mind as he penned his four works in the genre. Regardless, their fusion of bravura pianism and epic drama never fails to attract pianists and audiences alike. “In fact, I have played the four Scherzi together as a cycle in concerts,” says Cho, “and they seem to feel comfortable all in one place. I think it’s because the pieces are so different in character, yet there is great contrast within each individual scherzo. For example, the B minor Scherzo’s two opening chords are like a scream. And, while the main theme has a joking quality, it is a ‘joke of the devil’.”
Almost from the start, the B flat minor Scherzo caught on with audiences and pianists. Indeed, its popularity was such that Liszt discouraged students from playing it in his masterclasses. Schumann, meanwhile, compared the music to the poetry of Byron, “so overflowing with tenderness, boldness, love and contempt”.
Energetic octaves both loud and soft dominate the C sharp minor Scherzo’s outer sections, while the trio modulates to D flat major for a chorale-like theme answered by shimmering cascades of falling arpeggios. “By far, this is the most compact and intrinsically violent of the four,” says Cho. “I had the opportunity to visit Valldemossa in Majorca, where Chopin composed this scherzo. It’s now a museum, of course, but when Chopin was there, it was an abandoned monastery with no heating. To think of Chopin composing in poor health under such harsh conditions, I could finally understand the music’s inner drama and bleakness.”
While the E major, the last of the set to be composed, is less popular than its predecessors – and is, according to Cho, “the hardest of the four in every technical and musical aspect” – its combination of supple, ethereal passagework and unexpected dramatic outbursts yields greater rewards with repeated hearings. “The music harkens back to the brilliant, more flashy style of Chopin’s earlier years in Warsaw, yet softened by maturity.” These words equally apply to Seong-Jin Cho’s ever-evolving artistry.
Jed Distler

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