In derselben Woche, als die Sex Pistols sich 1996 wiedervereinigten, beschlossen Siouxsie and the Banshees sich aufzulösen, quasi als Mahnung gegen die Verklärung der Nostalgie. Eine Comeback-Tournee und ein paar Solokonzerte mit Orchester später ist wohl endgültig Schluss mit den Banshees und auch das Nebenprojekt The Creatures gibt es nicht mehr. Dafür jetzt Siouxsie allein. Eine Frau auf einer erstaunlichen Höhe ihrer Kraft.
Bei der Lektüre einiger der zahlreichen Fansites und Internetforen könnte man meinen, dass Siouxsie mit dem Text der ersten Single „Into A Swan“ ihres ersten Solo-Albums „Mantaray“ der Welt verschlüsselte Botschaften zukommen lassen will: Die 50jährige Debütantin, nach über 20 Jahren getrennt von Musik- und Lebenspartner Budgie und auch ohne den zweiten ehemaligen Banshees Partner Steve Severin, habe ein Coming Out, mutmaßt ein vermeintliches Insider Blog. An anderer Stelle fabuliert jemand: befreit von den kreativen Fesseln der Siouxsie and the Banshees Jahre durchlaufe Siouxsie eine Verwandlung, schlüpfe als neugeborener Schwan aus… ja aus was denn? Sicher nicht einer hässlichen Entlein Rolle.
„Eine Zeitlang habe ich mit der Idee gespielt, anonymer zu arbeiten, als Songschreiber für andere. Ich habe dann zwei Songs als Demos verschickt für jemanden und sie wurden beide genommen. Aber der Plattenfirma gefielen schließlich meine Demos besser als die fertigen Tracks für das andere Album und man bot mir einen Vertrag an. Die beiden Songs waren ‚Loveless’ und ‚Into A Swan’“, erläutert eine entspannte, Siouxsie alias Susan Janet Ballion im Interview die Vorgeschichte von „Mantaray“.
In den 1980er und 90er Jahren wurde aus Siouxsie ein alternativer Superstar, der in Europa und den USA treue Fans mit insgesamt elf Studioalben und diversen EPs, Live Mitschnitten, “Best of“ Kopplungen und „Peel Sessions“ versorgte. Nebenbei erkundete sie mit Drummer Budgie als The Creatures unerhörtes Sound-Terrain, mal auf Hawaii, dann im Big Band Sound von „Right Now“ und zuletzt („Hai!“, 2003) in Japan. Sie war Skandal, Eiskönigin, Gruftie-Göttin wider Willen. Inzwischen sind Siouxsie und ihr Pin-Up gewordenes New Wave/Goth Image längst englisches Kulturerbe ersten Ranges, als Symbol so wichtig für das Souvenirgeschäft an Oxford Street und Co. wie Swinging Sixties, Glamrock und all die anderen Popphänomene Londons. Darum passt es, dass Siouxsie ihren Track „If It Doesn`t Kill You“ als potentielle „James Bond“-Titelmusik anpreist. Schließlich ist sie genauso utterly british wie der Geheimagent ihrer Majestät. Für das Stück hat sie die Shirley Bassey in sich herausgeholt, eine bisher noch nicht so ausgelotete Seite der Sängerin. Auf anderen Tracks von „Mantaray“ begegnet man weiteren Facetten von Siouxsie, die eben nicht in das Bild der kalt-schrillen Dunkeldiva passen: Bläsersätze, Piano, Marimba, Besenschlagzeug stehen neben Big Beats, Gitarrenwänden und synthetischen Klanglandschaften. Jedes der zehn Stücke ist eine eigene Welt, „Mantaray“ kein Konzeptalbum sondern eine eindrucksvolle Sammlung von Songs.
Die Siouxsie-Genealogie besitzt immer noch hörbare Vorbilder wie Nico, Patti Smith oder Grace Slick und Stilvorläufer bei Bowie und Roxy Music, aber es ist die von den Banshees und Creatures bekannte Mischung aus dystopischem Klangbad, einer quasi abstrahierten Erotik mit manchmal verstörend intimen Momenten, aus modal-hypnotischen Strukturen und instrumentalem Exotismus, die das inzwischen gereifte Songwriting von Siouxsie umgarnt. Für alte wie neue Fans ein vielschichtiges und echtes Vergnügen.
Vielleicht am höchsten anzurechnen ist Siouxsie dabei ihr Verzicht auf modische Verneigungen vor der eigenen Geschichte. Dies ist schließlich die Frau, die 1978 mit ihrer Debütsingle „Hong Kong Garden“ einen Top Ten Hit hatte, zu dem gerade wieder erst „Marie Antoinette“ im gleichnamigen Hipster-Historienopus von Sofia Coppola über ein Kostümfest tanzte. Aber dass inzwischen Bands wie Franz Ferdinand, Bloc Party, Interpol oder Maximo Park ein Klangideal propagieren, das Frau Ballions Ohren noch bekannt vorkommen dürfte, interessiert sie nicht. Von Karen Elson (Yeah Yeah Yeahs) ganz zu schweigen, die gerne mit Siouxsie verglichen wird. Siouxsie ist sich selbst genug und steckt mit „Mantaray“ einen eigenen Claim. Sich nach Moden zu richten, kommt nicht in Frage. Sie selbst sieht das ganz profan: „Die Menschen sind zu sehr mit Dingen wie Erfolg und Geld beschäftigt. Das hat mich nie interessiert. Ich wollte immer nur Autonomie. ‚Leave me the fuck alone und lasst mich einfach weitermachen’. Hey, das wäre doch ein gutes Schlußwort, oder?“. Genau, das lassen wir mal so stehen.