Der Tenorsaxofonist Stan Getz war einer der elegantesten Melodiker des modernen Jazz. Seine angenehm mäandrierenden Linienbildungen, vor allem aber sein samten weicher und zugleich kraftvoll dezidierter Ton haben das Klangbild des anspruchsvollen Mainstreams seit den fünfziger Jahren und der Bossa-Nova-Welle der Sechziger entscheidend geprägt.
Stanley Gayetzsky wurde am 2. Februar 1927 in Philadelphia geboren und wuchs als Sohn eines jüdischen Druckers in der Bronx auf. Von seiner ehrgeizigen Mutter vehement gefördert, spielte er als Kind in Schulbands zunächst Mundharmonika, Bass und Fagott, später dann Alt- und Tenorsaxofon. Er war begabt, hatte ein Stipendium an der Juilliard-School so gut wie in der Tasche, als er es Zuhause nicht mehr aushielt und aus den engen Verhältnissen seiner Familie ausbrach. Er riss aus, wandte sich dem Jazz zu, ging als 15jähriger mit Dick Rodgers auf Tournee und war ein Jahr später bereits im Ensemble von Jack Teagarden zu hören, der gleich noch die Vormundschaft für den Teenager bis zu dessen Volljährigkeit übernahm. So wurde er schnell zu einem der versiertesten Satzspieler seiner Zeit und in die Orchester von Stan Kenton (1945/6), Jimmy Dorsey, Benny Goodman und Herbie Fields engagiert. Er zog um 1946 an die Westküste, arbeitete in Hollywood mit seinem eigenen Trio, aber auch mit Nat Cole und anderen Orchestern.
Den nächsten wichtigen Karriere-Schritt tat Getz, als er sich 1947 der Bebop-Big-Band “Second Herd” von Woody Herman anschloss, zusammen mit Jimmy Giuffre (später Serge Chaloff), Herbie Stewart und Zoot Sims als “Four Brothers” zur wichtigsten Bläsersection dieser Jahre gehörte und durch sein Aufsehen erregendes Solo über “Early Autumn” (1948) weit über die Spezialistenkreise des Jazz hinaus bekannt wurde. Getz blieb bis 1949 bei Herman, arbeitete daraufhin als arrivierter Sideman und Bandleader in vielfältigen Projekten an der Seite von Stars wie Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, Dizzy Gillespie und im Rahmen der renommierten “Jazz At The Philharmonic”-Konzerte. Seine zunehmende Drogensucht setzte ihn jedoch derart unter Druck, dass er Mitte der Fünfziger nach einem Apothekenüberfall und einem Selbstmordversuch zunächst im Gefängnis, daraufhin in einer Entziehungsanstalt landete.
Nach dieser unfreiwilligen Karrierepause gelang Getz jedoch zu Beginn der Sechziger ein bemerkenswertes Comeback. Neben der in der Jazzgeschichte singulären Klassik-Crossover-Aufnahme “Focus” (1961) zusammen mit Eddie Sauter war es vor allem die Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Charlie Byrd (“Jazz Samba”, 1962), dem brasilianischen Komponisten Antonio Carlos Jobim und dem Gilberto-Ehepaar (“The Girl From Ipanema”, 1965), die ihn wieder auf die Bühne brachte. Getz wurde durch butterweiche Soli wie bei “Desafinado” zum Stilvorbild der Bossa Nova-Welle und war bis in die siebziger Jahre hinein wieder ein viel gebuchter Solist für verschiedenste Projekte. Eigene Bands mit dem Pianisten Chick Corea wurden auf Festivals wie etwa in Berlin 1966 begeistert gefeiert, erwiesen sich aber als wenig dauerhaft.
Während der folgenden Jahre versuchte es Getz in immer neuen Besetzungen, lebte von 1969 bis 1972 in Europa und war mal an der Seite von Airto Moreira und Tony Williams, mal mit lyrischen Kleinformationen wie dem Duo “The Peacocks” (1975) mit dem Pianisten Jimmy Rowles zu hören. Während der achtziger Jahre entwickelte er eine enorme Aufnahmetätigkeit von “Autumn Leaves” (1980) bis “People Time” (1991), die durch mehrere Dutzend Alben dokumentiert wurde. Von 1985 an half er der Stanford University, das junge Jazz Departement aufzubauen, und gab dort als Dozent seine Erfahrungen an die nachfolgende Generation weiter. Im Jahr darauf wurde er von den Lesern der einflussreichen Zeitschrift Down Beat in die “Hall of Fame” gewählt. Obwohl bereits an Leberkrebs erkrankt, stand er bis zuletzt auf der Bühne und war noch 1990 beim North Sea Festival in Den Haag live zu erleben, wo er außerdem den renommierten “Bird Award” überreicht bekam. Stan Getz starb am 6. Juni 1991 in Los Angeles.
07/2005