Wo das letzte Album der Cardigans erwachsen und gediegen war, ist “Super Extra Gravity” widerspenstig und überraschend. Doch gibt es immer noch Ähnlichkeiten. Die Band schafft es, alles, was an “Long Gone Before Daylight” gut war beizubehalten, während sie gleichzeitig dagegen rebelliert. Kontinuität gepaart mit Weiterentwicklung.
Es war offensichtlich, dass das letzte Album den Beginn einer neuen Ära in der Laufbahn der schwedischen Band ausmachen würde. Trotz allem wären es, wie Songwriter/Gitarrist Peter Svensson es ausdrückt, “nicht The Cardigans wenn wir wieder ins Studio gegangen wären um dasselbe Album noch einmal aufzunehmen.”
Was also waren dieses Mal ihre Einflüsse?
– Wir wollten ein Album machen das “strange aber gut” ist,” sagt Sängerin/Lyrikerin Nina Persson. Die Idee dahinter war, dass jeder Song etwas Verschrobenes und Überraschendes an sich haben sollte.
Nina und Peter nennen beide – unabhängig voneinander – The Pixies als Inspiration.
– Natürlich klingen wir aber überhaupt nicht wie sie, lacht Peter.
Das neue Album wurde nach mehreren ausführlichen Tourneen geschrieben. Das Touren hatte vor zwei Jahren angefangen, mit Festivals in Europa und Großbritannien. Nach einer Clubtour im Herbst 2003 folgte eine kurze Pause, in der die Band einen Bonus Track für die amerikanische Version des Albums aufnahm. Von März bis Ende September folgte dann eine USA-Tour.
– Im Nachhinein sind wir durch die letzte Tour zu einer sehr guten Liveband geworden. Am Anfang waren wir auf der Bühne noch sehr unsicher, aber als wir dann etwas mehr Routine bekamen, konnten wir uns zurücklehnen und relaxen wie noch nie zuvor.
Kurz danach fing die Band zusammen mit Tore Johansson an, in den Gula Studios in Malmö an “Super Extra Gravity” zu arbeiten.
Da Peter, Keyboarder Lasse Johansson und Drummer Bengt Lagerberg alle Vater geworden waren, mussten die Sessions sorgsam geplant werden. Auf 12 Tage im Studio folgten acht freie Tage. Während diesen Tagen schickte Peter Nina zwei Demos mit neuen Songs, damit sie Lyrics dazu schrieb – was sie oft zusammen mit ihrem Ehemann, dem bekannten amerikanischen Filmmusik-Komponist Nathan Larson, tat. Innerhalb der nächsten 12 Tage wurden die zwei fertigen Tracks aufgenommen. Klingt fast nach einer veralteten Hitmaschinerie…
– Ja, sagt Nina zustimmend, wir mussten einfach disziplinierter sein. Früher oder später passieren diese Dinge einfach, wenn man seine Rockband mit einem Leben vereinbaren will. Der Vorteil dieser Prozedur war, dass jedes Bandmitglied in alle Aspekte und Phasen des Albums involviert war.
Und dies war für alle von Vorteil: für den Songwriter, die Lyrikerin und die Band.
– Wir waren gezwungen konstruktiver zu sein, erklärt Peter. Auf früheren Alben tendierten wir dazu, der Arbeit aus dem Weg zu gehen, wenn nicht alles hundertprozentig stimmte, und das machte die Herstellung des letzten Albums zu einem sehr langwierigen Prozess. Dieses Mal hatten wir dazu einfach keine Zeit. Entscheidungen mussten getroffen werden, wodurch das Album einen spontaneren Touch bekam.
Wer denkt, dass dieser pragmatische Ansatz des Schreibens und Aufnehmens dazu geführt hat, dass sich das Album sehr konstruiert anhört, liegt falsch. Das zeitlose, bodenständige und erwachsene Album wurde schon mit “Long Gone Before Daylight” gemacht.
– Jeder Pinselstrich, jeder Sound und jede Textzeile hatten dieselbe Basis. Das war einerseits eine Stärke und andererseits auch eine Schwäche, erklärt Peter. Im Nachhinein wirkt es manchmal etwas zu homogen und nett. Aber so waren wir als wir es aufnahmen und darauf sind wir immer noch stolz.
Viele der Dinge, die an “Long Gone…” gut waren, finden sich auf diesem Album wieder: Das Zwischenspiel der Musiker, die Präsenz von Ninas Stimme, die bezeichnenden Melodien. Aber das Streben nach Perfektion und der Herstellung eines “gut produzierten,” zeitlosen Albums wurde ersetzt durch einen gefährlicheren, weniger vorhersehbareren Sound. Die Songs sind kürzer und fokussierter.
– Verglichen mit unserem letzten, reifen Album ist dieses wie ein unausstehlicher Teenager, sagt Nina. Ich denke, dass unsere ausführlichen Touren dazu geführt haben, dass wir uns mehr Freiheiten nehmen und in verschiedene Richtungen vorwagen.
Die Tatsache, dass Tore Johansson, der beim letzten Mal nicht dabei war, wieder als Produzent mit an Bord ist, und das Album auch abgemischt hat, ist kein Zufall.
– Während den Aufnahmen zu unserem letzten Album haben wir ihn “gefeuert.” Wir hatten das Gefühl, dass er uns in eine Richtung steuerte, von der wir loskommen wollten. Er mag “Long Gone…” noch immer nicht wirklich. Er hat einen vollkommen anderen Geschmack. Aber für dieses Album kamen wir wieder angekrochen! gibt Nina lachend zu.
Die erste Single des Albums ist das rotzige “I Need Some Fine Wine And You, You Need To Be Nicer.” Ein energetischer und aufdringlicher Song, der beweist, dass Nina eine fabelhafte Virginia Woolf abgeben würde, wenn sie nur wollte. Allein die Tatsache, die sie das Wort ”sit” ausspuckt!
Die nächste Single wird wahrscheinlich vollkommen anders sein. Es gibt einfach keinen Song, der das ganze Album zusammenfasst. “Super Extra Gravity” entwickelt sich ständig weiter.
Es strotzt nur so vor unerwarteten Sounds, ob nun wunderschön weitschweifende Gitarrensoli, unerbitterliches Metal Drumming, brutale Basssounds, bearbeitete Pianos, verzerrte Walzer oder Echos von vernachlässigten Kapiteln der Rockgeschichte (man muss nur Lasses in-your-face Orgel auf dem andächtigen “Holy Love” hören) aufgegriffen werden.
“Good Morning Joan” ist überaus gitarrenlastig, während bei “In The Round” Magnus Svenningssons Indie- und Goth-Wurzeln zur Schau gestellt werden; dieser Song weist auch dezent darauf hin, wie The Cardigans klingen würden, wenn sie aus Manchester oder Boston kämen.
Der Opener des Albums, “Losing A Friend” ist ein dezenter Song, der eines der Highlights des letzten Albums hätte werden können. Allerdings hätte er glätter abgemischt werden müssten und die dreckigen Sounds hätten nicht hineingepasst (oder das schräge Gitarrensolo).
Das traurige und wunderschöne “Don’t Blame You Daughter (Diamonds)” scheint davon zu handeln, die Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen und sich dagegen zu sträuben zu einem Martyrer zu werden. Nina gibt zu, dass ihr dieser Song sehr nahe steht, und dass sie erst eine gewisse Distanz zu ihm aufbauen muss, bevor sie ihn jede Nacht dem Publikum vortragen können wird.
Die Lyrics sind normalerweise wie Fotografien, sie beschreiben eher ein Gefühl oder einen Bewusstseinszustand als dass sie eine Geschichte mit Anfang und Ende erzählen. Nina beschreibt die Lyrics als „insgesamt weinerlicher aber weniger traurig.“
– Ich versuche wirklich über andere Dinge zu schreiben als über komplizierte Beziehungen; allerdings ist das hoffnungslos, seufzt sie, ohne dass man dann unzufrieden erscheint.
Eine Ausnahme ihrer Beschreibung ist “Godspell,” in welchem sie darauf eingeht, wie Religion das Opium der Massen sein kann.
Viele Bands versuchen ihren Mangel an gutem Material hinter „interessanten“ Sounds zu verstecken. The Cardigans haben dieses Problem nicht, und mit jedem Mal Hören dieses Albums fällt einem eine neue Besonderheit auf. The Cardigans und Tore Johansson haben ihr Ziel erreicht:
Ein wunderschön gestörtes Album zu machen, dass den Hörer immer wieder überrascht.
FAKTEN & BANDHISTORY
Die fünf Schweden lernten sich als Teenager in Jonköping kennen, einer kleinen schwedischen Stadt, dessen einziges herausragendes Merkmal seine 52 Kirchen ist. Im Oktober 1992 wurden The Cardigans von Gitarrist Peter Svensson und Bassist Magnus Sveningsson gegründet, aufgrund ihrer beiderseitigen Leidenschaft für Hard Rock. Da ihre Heimatstadt kaum ein Mekka für musikalische Unternehmungen war, packte die Band ihre Sachen und zog in Schwedens drittgrößte Stadt, die etwas zentralere Fischer- und Hafenstadt Malmö, um ihr Glück dort zu versuchen. Peter schrieb die meisten Songs und zusammen schrieb die ganze Band die Lyrics; in dieser Aufstellung zog die Band auf der Suche nach einem Plattendeal los.
Nachdem eine frühe Aufnahme von “Rise & Shine” 1994 auf einem lokalen Independent Label veröffentlicht wurde, wurden The Cardigans auch sofort von Stockholm Records gesigned. Im selben Jahr brachte die Band ihr Debüt Emmerdale auf dem Label heraus, und gewann später von Slitz, dem damals führenden Musikmagazin in Schweden, die Auszeichnung “Bestes Album 1994.” Ab diesem Zeitpunkt verlief der Aufstieg der Cardigans stufenweise, was ihnen Zeit gab sich in ihrem eigenen Tempo zu entwickeln, während ihre Verkaufszahlen und die gute Presse mit jedem Release mehr wurden. Ihr zweiter Longplayer, Life, der 1995 veröffentlicht wurde, beinhaltete die Hit Singles “Carnival” und das neu aufgenommene “Rise & Shine”, Mit diesem Album wurde die Band auch das erste Mal zu einem internationalen Chart-Erfolg. Vor dem Album First Band On The Moon im September 1996 veröffentlichten The Cardigans “Lovefool”. Obwohl das erste Feedback auf die Single äußerst positiv war und der Song in den Top 40 landete, schlug er bei weitem noch nicht so ein wie im darauf folgenden Frühjahr.
1997 wurden The Cardigans erstmals zu internationalen Superstars. “Lovefool” kam in diesem Frühjahr auf den Soundtrack des Blockbuster-Films Romeo & Julia und damit waren die Cardigans mit einem Mal ganz oben. Die Single wurde nicht nur zur Nr. 1 in den Radio Charts in Großbritannien und den USA, sie stieg auch bei den UK National Charts auf dem zweiten Platz ein, wo sie fünf Wochen lang in den Top 5 blieb. Zusammen wurde das Album weltweit mehr als 2,5 Millionen Mal verkauft, und bekam somit in den USA und Japan Platin und Gold in Großbritannien. Die Promotion-Aktionen, die den weltweiten Erfolg von “Lovefool” und First Band On The Moon unterstützten, waren endlos. Die Band ging nicht nur ein Jahr lang auf Welt-Tour inklusive Radiosessions, Presse und Fernsehinterviews, sondern hatte sie auch Gastauftritte bei Beverley Hills 90210 und der David Letterman Show.
Aufgrund der bloßen Erschöpfung die solch ein Zeitplan mit sich bringt, nahmen sich The Cardigans dann eine wohlverdiente Auszeit zu Hause in Malmö, um ihre künstlerischen Kräfte zu reaktivieren und neues Material zu schreiben. Jedoch war die Band während dieser Zeit keinesfalls auf Eis gelegt. Anfang 1999 steuerten sie einen neuen Track, “War”, zu dem Soundtrack von Lebe lieber ungewöhnlich bei, sowie dem Lilith Fair-Sampler eine Liveaufnahme von “Been It”, und dem Soundtrack zu Akte X „Deuce,“ das auf dem neuen Album vertreten ist. Während der Pause experimentierten sie auch mit verschiedenen Soloprojekten.
Im Juni 1998 tat sich die Band – ihren Wurzeln gegenüber stets loyal – wieder mit ihrem langjährigen Produzenten Tore Johansson in seinem Studio Country Hell zusammen. Dieses liegt neben dem malerischen Svaneholm Castle in Malmö und dort nahmen sie dann auch das Album “Gran Turismo” auf.
Die erste Single, “My Favourite Game” war in vielen Ländern ein großer Hitsong. Jonas Åkerlund führte Regie für das Video zu “My Favourite Game”. Die zweite Single “Erase/Rewind” wurde im Januar 1999 veröffentlicht und auch dieser Song wurde weltweit zu einem großen Hit.
“Gran Turismo” wurde weltweit mehr als 2,5 Millionen Mal verkauft.
Das Album “Long Gone Before Daylight” wurde im Februar 2003 released und aus dem Album wurde die Singles “For What It’s Worth” und “You’re The Storm” ausgekoppelt. Das Album bekam ausgesprochen gute Kritiken und die Band verbrachte den Großteil des Jahres 2003 damit in Europa und den USA zu touren.
THE CARDIGANS
Nina Persson – Vocals
Peter Svensson – Gitarre
Bengt Lagerberg – Drums
Magnus Sveningsson – Bass
Lasse Johansson – Keyboard, Akustik-Gitarre
ALBUM DISCOGRAPHY
“Long Gone Before Daylight” CD/LP (Stockholm Records/Universal Music, 2003)
“I Sing Because Of You”, Righteous Boy – Magnus Sveningssons Soloprojekt (Stockholm Records 2002)
“A Camp”, A Camp – Nina Perssons Soloprojekt (Stockholm Records 2001)
“Gran Turismo Overdrive” CD Maxi/12″ Vinyl, Ltd edition (Stockholm Records, 1999)
“Gran Turismo” CD/MC (Stockholm Records, 1998)
“First Band On The Moon” CD/MC (Stockholm Records, 1996)
“Life” CD/MC/LP (Stockholm Records, 1995)
“Emmerdale” CD-Album (Stockholm Records, 1994)
Aktuelles Album: “Super Extra Gravity” – VÖ: 17.10.2005
Aktuelle Single: “I Need Some Fine Wine And You, You Need To Be Nicer” – VÖ: 4.10.2005
Pressekontakt – Tina Koppelin – 030 52007 2067 – tina.koppelin@umusic.com