Grandios ausgefeiltes Songwriting. Plötzlich aufblitzende, packende Gitarrenriffs. Akustische Saiteninstrumente. Komplexe Gesangsharmonien. Der pure, ungefilterte Spaß, den es macht, gemeinsam Songs einzuspielen. Das sind nur einige der Dinge, die einem automatisch in den Sinn kommen, wenn man “II”, das neue Album von The Common Linnets, zum ersten Mal hört. Man merkt sofort, dass man es hier mit einer Band zu tun hat, die sich und ihren Sound wirklich gefunden hat: Musiker, die auf derselben Wellenlänge sind, die entdeckt haben, was für eine unbeschreibliche Energie entstehen kann, wenn man wirklich gemeinsam an einem Strang zieht – und dieses Zusammengehörigkeitsgefühl vertont; das Resultat ist ein Sound, der dermaßen ehrlich klingt, dass man ohne Weiteres vergessen könnte, dass The Common Linnets ja noch gar nicht so lange zusammenarbeiten.
Kurzum: The Common Linnets haben sich extrem weiterentwickelt seit ihren ersten Veröffentlichungen. Ihr neues Album “II” besteht durchweg aus einzigartigen Songs – vom kompromisslos rockigen Eröffnungssong “We Don’t Make The Wind Blow” bis hin zum umwerfenden Schlusspunkt des Longplayers, dem Song “Proud”. Mit Songs wie dem geisterhaften “Runaway Man”, dem von Crowded House inspirierten “That Part” oder auch dem imposanten “Soho Waltz” zeigen sie immer neue Facetten ihres grandiosen Songwritings. Und hat Ilse DeLange diese hohen, einsam wirkenden Töne jemals so gut getroffen wie auf “Days Of Endless Time”, bei dem ihre Stimme auch von einer Mandoline und einer Dobro-Gitarre eingerahmt wird? Zugleich findet sich auf “II” mit “Hearts On Fire” auch ein astreiner Dance-Song, dessen Gegenpol womöglich die ergreifende Ballade “Dust Of Oklahoma” bildet, wobei die Steel-Guitar-Einlagen einem in diesem Fall fast schon das Herz zerreißen.
Mit den Gesangsharmonien beziehen sich The Common Linnets zwar wiederholt auf den Westküsten-Sound der Siebziger, auf Bands wie Fleetwood Mac und Crosby, Stills, Nash & Young, wobei “II” insgesamt doch in ihren angestammten Klangkosmos fällt: Es ist ein Americana-Album, ein Alternative-Country-Album. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Aufnahmen in Nashville stattfanden und sie dort die Gelegenheit hatten, mit gefeierten Country-Größen wie zum Beispiel Jerry Douglas und der Pedal-Steel-Legende Paul Franklin zusammenzuarbeiten. “Diese Typen zählen zu den besten Musikern der Welt”, berichtet Co-Produzent JB Meijers über die Arbeit in Nashville. “Ich bewundere Leute wie Jerry wirklich zutiefst. Im Studio ist er dermaßen locker und entspannt, dass man zuerst gar nicht merkt, was er da alles macht. Als ich mir dann abends die Aufnahmen des jeweiligen Tages noch einmal anhörte, dachte ich nur: Heilige Scheiße, wir haben uns da ein echtes Genie ins Boot geholt!” So gelang es der Band, einen Sound zu kreieren, der zugleich unverwechselbar und absolut zeitlos klingt. JB: “Gewiss hat dieser Sound amerikanische Wurzeln; das liegt schlichtweg daran, dass wir alle so sehr auf diese Musiktradition stehen. Aber wir sind nun mal keine Puristen. Deshalb tauchen auch immer wieder Akkordfolgen und Melodien in den neuen Songs auf, die vollkommen europäisch klingen, was der Musik diesen ganz eigenen Twist gibt.”
Auch das verwundert nicht: Schließlich sind The Common Linnets eine Band, deren Mitglieder von zwei Kontinenten stammen. Die amerikanischen Sänger und Songwriter Matthew Crosby und Jake Etheridge kommen häufig nach Europa und verbringen in der Regel gleich mehrere Wochen auf dieser Seite des Ozeans. Anfang 2015 trafen sich alle vier Mitglieder der Band in Berlin, wo sie an jenen Songs arbeiteten, die schließlich den Kern von “II” bilden sollten.
Stichwort Berlin – hier ergab sich eine weitere ganz besondere Zusammenarbeit, denn die Common Linnets trafen in der Stadt an der Spree auf ihre Label-Kollegen von The Boss Hoss. Gemeinsam mit dem Septett um Boss Burns und Hoss Power gingen The Common Linnets ins Studio und nahmen eine Coverversion von “Jolene”, ursprünglich gesungen von Amerikas größtem Country-Star Dolly Parton, auf. Dieser Track wird auf dem neunten Studioalbum von The Boss Hoss “Dos Bros” enthalten sein und am 25. September 2015 erscheinen.
Doch es gab auch “II”-Album-Songs, die unterwegs, mitten im Trubel der letzten Monate erste Formen annahmen – in der Umkleide, im Tour-Bus, in verschiedenen Studios. Ihre im vergangenen Herbst begonnene Tournee, die Ilse als “soul winning” bezeichnet, weil sie ihnen so viele neue Fans bescherte, führte über mehrere Kontinente und entpuppte sich als gewaltiger Erfolg. Es war nicht der erste: Schon ihr Debütalbum war in Holland zum meistverkauften Album des Jahres 2014 avanciert. Und dann waren da ja noch die deutschen Fans, die The Common Linnets sofort in ihr Herz geschlossen hatten. Überall regnete es Edelmetall-Auszeichnungen (in Deutschland wurde das Album mit Gold ausgezeichnet – die Single “Calm After The Storm” erreichte Platin-Status) und diverse andere Awards: Sie gewannen u.a. den europäischen EBBA-Award (überreicht von Jools Holland) eine Reihe von holländischen Preisen und den begehrten ECHO in der Kategorie “Newcomer International”. – Zusätzlich waren sie in der Kategorie “Band Rock / Pop International” für einen ECHO nominiert. Ausgestochen wurden sie hier von der britischen Über-Band Pink Floyd.
Unglaublich, wenn man bedenkt, dass The Common Linnets nur zwei Jahre zuvor ein bloßes Hirngespinst von Ilse waren: Ihre Idee lautete, mehr oder weniger anonym mit einer Band zusammenarbeiten und einfach ein Album mit gleichgesinnten Musikern aufzunehmen. Ganz unaufgeregt und abseits vom großen Musikzirkus.
Doch die Sache mit Schattendasein ging nicht wirklich auf: Indem sie beim Eurovision Song Contest 2014 teilnahmen, wurden The Common Linnets schlagartig ins Rampenlicht katapultiert. Ihr Beitrag “Calm After The Storm”, für den es aus Deutschland die höchste Punktzahl gab, belegte den zweiten Platz – und entpuppte sich daraufhin in sage und schreibe 14 europäischen Ländern als Nummer Eins-Hit. Plötzlich waren alle Augen auf Ilse & Co. gerichtet, und die Leute wollten mehr, sie wollten sie live sehen. Dabei war nicht mal ganz klar, wer The Common Linnets eigentlich sind: Die meisten Leute glaubten zunächst, es handle sich dabei um ein Duo.
Der Entschluss, eine richtige Band und kein Duo sein zu wollen, fiel erst wenige Stunden vor dem Beginn ihrer Europatour. Keine leichte Aufgabe: Den Sound von zwei Leuten auf ein komplettes Band-Line-up zu übertragen – und parallel dazu die schillernde Glitzerwelt des großen Song Contests gegen düstere Rockclubs einzutauschen. Um das zu schaffen, schrieben sie sich folgendes Motto auf die Fahne: Wir lassen uns einfach treiben und schauen mal, was daraus wird. “Der Eurovision Song Contest war fantastisch und wir haben dadurch viele Menschen erreicht”, meint Ilse rückblickend. “Wir waren ganz klar die Außenseiter, diejenige Band, die aus der Reihe getanzt ist, und wir hatten diesen schönen kleinen Song im Gepäck, der uns mal eben den zweiten Platz bescherte. Aber natürlich darf man nicht darauf zählen, dass danach alles wie von selbst passiert: Wir mussten uns hinsetzen und einfach weiterarbeiten an unseren Songs.” Dem fügt JB hinzu: “Ja, der Song Contest hatte auf jeden Fall auch seine Kehrseite. Wir mussten danach beweisen, dass wir echte Musiker sind, wirklich spielen und eine komplette Show liefern können. Aber ich glaube, das ist uns gelungen. Schon wenig später waren wir ein eingespieltes Team auf der Bühne.”
Gewiss hatten sie nichts gegen den Erfolg einzuwenden. Aber wichtiger noch war es, sich dieses gute Gefühl zu bewahren. Indem sie pausenlos zusammen auf Tour waren, gemeinsam an Songs feilten und Aufnahmen machten, wuchs die Band im Handumdrehen zu einer Einheit zusammen: “Das war ein echter Abenteuer-Trip, auf den wir uns da begeben haben; man wusste nicht, was wohl als nächstes kommen würde”, meint Ilse. “International bekannt zu sein und sich immer höhere Ziele zu stecken, ist ja komplett neu für uns, wirklich aufregend ist das. Man kann natürlich versuchen, seinen Freunden und der Familie davon zu berichten, wie sich das anfühlt – aber wir sind nun mal zusammen in dieser Situation, und das war es wohl auch, was uns so sehr zusammengeschweißt hat.”
Dermaßen zusammengeschweißt, entstanden viele der neuen Songs ganz spontan, und sie erlaubten es sich, sie im Rahmen ihrer Konzerte auszuprobieren und weiter reifen zu lassen. Man hört, dass sie inzwischen eine Einheit geworden sind: Die Gesangsharmonien greifen noch besser ineinander, und wirkliche “Solo-Exkurse” findet man auf “II” auch keine. “Wir arbeiten ja meistens auch zusammen an den Songs”, berichtet Jake. “Sobald unsere Gesangsparts so miteinander verschmelzen, dass wir alle mit einem breiten Grinsen am Mikrofon stehen, wissen wir auch, dass es ein verdammt guter Song sein muss. So läuft das bei uns.”
“Mir ist es extrem wichtig, dass unsere Musik ganz organisch entsteht”, ergänzt Ilse. “Schließlich haben wir uns nicht zusammengetan, um große Hits zu landen und Platin-Auszeichnungen abzuräumen. Es ging von Anfang an um unsere Liebe zur Musik und darum, etwas zu erschaffen, was wirklich unsere Gefühle auf den Punkt bringt. Ich wollte frei sein von den ganzen Erwartungen, die eine Solokarriere mit sich bringt; ich wollte stattdessen einfach Teil einer Band sein. Was das angeht, haben wir viel erreicht auf unserem neuen Album, insofern stimmt die Richtung wohl, die wir eingeschlagen haben.” Und wie geht es dem Ego einer Sängerin, die sich inzwischen ans Rampenlicht gewöhnt haben dürfte? “Oh, dem geht’s eigentlich ganz gut”, sagt sie und grinst. “Trotzdem danke!”
Ein fantastisches neues Album. Ein bis weit ins nächste Jahr ausgebuchter Tourkalender. Die Zeichen stehen gut für The Common Linnets. “Wir haben alle möglichen Ideen und Pläne, aber vieles davon ist noch unausgegoren”, meint Ilse abschließend. “Deutschland, wo wir gerade eine Tour mit Peter Maffay absolviert haben, ist sehr wichtig für uns. Aber schauen wir doch einfach mal, was als nächstes passiert. Am wichtigsten ist es, dass wir weiterhin zusammen Spaß haben – das ist eine Sache, an der wir auf jeden Fall festhalten werden. Was auch passiert, wir machen das zusammen, und schon deshalb könnte es nicht besser laufen für uns.”