Wenn man die ganzen Erfolge ihrer Band Good Charlotte bedenkt, könnte man glatt vergessen, dass deren Gründer, die Zwillingsbrüder Joel und Benji Madden, einst in einer Kleinstadt im Süden von Maryland aufgewachsen sind – in einem Kaff, wo alles danach aussah, als ob ihr Traum von einer Musikerkarriere wohl nur ein bloßes Hirngespinst bleiben würde. “Wir haben die Band in unserem Schlafzimmer gegründet”, erzählt Joel. “Wir mussten uns ein Bett teilen, hatten selbst in diesem Bett noch die Winterjacken an, weil unser Haus keine Heizung hatte, und wir redeten die ganze Zeit davon, wie es wohl wäre, wenn unsere Band irgendwann so richtig bekannt ist”, erinnert sich Benji.
Jeder weiß, dass sie ein paar Jahre später tatsächlich so richtig bekannt werden sollten. Die fünf Studioalben von Good Charlotte haben sich weltweit mehr als 10 Millionen Mal verkauft, sie haben Fans in aller Welt, sind in den größten Hallen und auf den größten Festivals aufgetreten – und sie haben letztlich auch ein Stück Musikgeschichte mitgeschrieben, indem sie Pop und Punk so miteinander kombiniert haben, dass ihnen Alben wie “The Young and the Hopeless” gleich drei Platinauszeichnungen in den USA bescheren sollten. So sind Joel und Benji nach und nach zu echten Superstars avanciert: 2011 wurde Joel zum Beispiel gefragt, als Coach in der australischen Version von “The Voice” mitzuwirken, deren neue Staffel vor kurzer Zeit angelaufen ist. Dazu wird auch Benji in diesem Jahr seinen Bruder als Coach unterstützen, wenn die nächste Staffel von “The Voice Kids” startet. Obendrein haben die beiden ihr eigenes Aufnahmestudio in Hollywood, wo sie für andere Künstler Songs schreiben, Aufnahmen machen und als Produzenten arbeiten.
Die Maddens hatten eigentlich immer nur ein einziges Ziel vor Augen: Sie wollten Musik machen, die Tiefgang hat. Die etwas bedeutet und eine Aussage hat. “Ja, unser Wunsch war es schon immer, etwas zu erschaffen, das gewissermaßen zeitlos ist, das uns also möglicherweise überdauert”, meint Benji. Das haben sie schon mit Good Charlotte geschafft: Das bereits erwähnte “The Young and the Hopeless”-Album aus dem Jahr 2002, das sich allein in den USA rund 3,5 Millionen Mal verkaufen sollte, hat den Pop-Punk-Sound jener Tage entscheidend mitgeprägt – und die beiden waren gerade mal 22, als sie diesen Meilenstein aufnahmen. Dabei waren die Alben von Good Charlotte gewissermaßen nur der Auftakt, denn schon der Name, den sie für ihre neue Band gewählt haben – The Madden Brothers –, zeigt in seiner schnörkellosen Schlicht- und Direktheit, dass sie nun ihr wahres Wesen musikalisch ausdrücken und sich hinter nichts verstecken wollen: “Harvey Leeds, der uns einst entdeckt hat, hat früher immer gesagt: ‘Ihr zwei seid wie die Everly Brothers. Was macht ihr überhaupt in einer Band?! Ihr solltet euch einfach nur The Brothers nennen’”, erinnert sich Benji. "Die Idee lautete also, sich nicht länger hinter irgendeinem anderen Namen oder gar einem Genrebegriff zu verstecken, sondern einfach ein paar Songs zu schreiben, einen geeigneten Produzenten zu finden, der sie mit uns aufnimmt und uns dabei hilft, ein möglichst genaues Bild davon zu entwerfen, wer wir als Musiker eigentlich sind.
Wenn man die ganze Live-Show, das Drumherum und die perfekte Produktion ihrer Songs einmal ausklammert, erkennt man schnell, dass Benji und Joel im Grunde genommen klassische Pop-Songschreiber sind: Sie wissen einfach, wie man Melodien, Harmonien und Storytelling miteinander verbinden muss, damit ein Song catchy und eingängig wird. Ihr neuester Beweis, ihr Erstling als The Madden Brothers, hört auf den Titel “
Greetings From California” und ist in zwei “Seiten” unterteilt: Los geht’s auf der ersten Seite mit ausgelassenem, sonnendurchtränktem Pop/Rock-Sound, optimistisch und druckvoll, aufgenommen mit ihrem Stamm-Produzenten Eric Valentine, der schon für “The Young and the Hopeless” und “
The Chronicles of Life and Death” (2004) hinter den Reglern stand. Indem sie klanglich an das Erbe von den
Beach Boys oder auch
Phil Spector anknüpfen, liefern The Madden Brothers jede Menge Killer-Hooks ab, so zum Beispiel im Fall von “
We Are Done” mit seinem unmissverständlichen Text und diesem Sixties-Einschlag, dem astreinen Pop-Track “
Dear Jane” (gesungen von Benji, der für die Hälfte der Songs am Mikrofon stand) und dem druckvollen Love-Song “
Out Of My Mind”. “Wir wussten einfach, dass wir mit Eric arbeiten mussten”, meint Joel. “Wenn wir drei zusammen in einem Raum sind, entsteht eine ganz besondere Energie – das grenzt schon an Magie! Er weiß einfach ganz genau, wie er das Beste aus uns herausholen kann, und dazu kommt, dass er ja auch selbst ein unglaublich guter Musiker und Songschreiber ist.”
Auf der “zweiten Seite” brechen The Madden Brothers dann in ganz andere Klangregionen auf: Die (brüderlich eingesungenen) Harmonien stehen zwar auf Songs wie “California Rain” und “Brother” noch immer im Mittelpunkt, aber die Arrangements klingen sehr viel geerdeter: handgemachter Folk trifft auf Südstaaten-Rock und Radio-Pop aus den Siebzigern. Um diesen Sound zu kreieren, holten sie sich den Grammy-Gewinner Joe Chiccarelli ins Studio, der als Produzent bereits mit The White Stripes, The Strokes, The Shins, Boy and Bear und diversen anderen Größen gearbeitet hat. “Wir haben das ja noch nie zuvor gemacht, so ganz organische Aufnahmen, bei denen alles quasi ‘nackt’ klingt, man sich also nicht hinter einer ganzen Wand aus Gitarren und Produktionseffekten versteckt”, so Benji. “Joe ist der richtige Mann für solche ungeschminkten Aufnahmen; mit ihm klingt das einfach fantastisch. Er ist schließlich einer der letzten großen Produzenten, die so klassisch an die Sache herangehen.”
Nimmt man beide Seiten von “Greetings From California” zusammen, reflektiert das Debüt von The Madden Brothers durchaus jene entspannte Westküsten-Attitüde, die der Titel erwarten lässt. Zugleich soll es eine Anspielung darauf sein, dass sich mit dieser Platte gewissermaßen ein Kreis schließt, wie die beiden berichten. Der Startschuss für das neue Album erfolgte schon im Jahr 2012, als sie ihren Freund Pharrell Williams in Miami besuchten. Benji und Joel hatten mit Good Charlotte gerade eine 18-monatige Tour hinter sich gebracht, in deren Rahmen sie das “Cardiology”-Album (2010) live präsentiert hatten, und sie hatten sich bereits locker darüber ausgetauscht, womöglich ein gemeinsames Album aufzunehmen – ohne andere Musiker. “Wir waren zu Pharrell geflogen, weil wir einfach echt gute Freunde sind. Wir lieben und schätzen ihn sehr”, setzt Joel an. “Benji hatte seine Akustikgitarre im Gepäck, und schon das fühlte sich so an, als würden wir unsere eigene Geschichte noch einmal durchleben: Wie wir mit 18 unser Zuhause verlassen und uns in Richtung Kalifornien aufgemacht haben… im Gepäck nichts weiter als eine Akustikgitarre. Pharrell erkannte sofort, dass wir eigentlich klassischen Westküsten-Sound, ehrlichen California-Rock machen wollten. Er sprach von The Eagles, machte diese ganzen Vergleiche, was uns noch mehr anspornte, und dann haben wir den Song ‘California Rain’ tatsächlich noch in jener ersten Nacht geschrieben.”
Besagter Song, “California Rain”, mit dem die zweite Seite ihres Albums beginnt, sollte für Benji und Joel alles verändern. Inhaltlich handelt er davon, wie sie einst von der Ost- an die Westküste aufbrachen: “Let me take you back before the lights, before the crowd, before we made a sound/All I wanted was to make my mother proud/She told me ‘Son, we’re from the side of town, no one ever makes it out.’” “Ja, da geht’s natürlich um unseren Traum”, erläutert Benji. “Es geht um die Musikindustrie. Kalifornien ist ein magischer Ort, und er steht in diesem Fall für unseren Traum.” “Der Song musste einfach episch klingen, weil Kalifornien so ein epischer Landstrich ist”, ergänzt sein Bruder. “Das Stück bringt all unsere Erfahrungen auf den Punkt: Was seither passiert ist, wo wir heute stehen, was wir für Pläne für die Zukunft haben. Wir glauben nämlich immer noch an diesen Traum. Wir glauben, dass auch heute noch irgendein junger Typ mit Akustikgitarre, Rucksack und 40 Dollar in der Tasche sein Zuhause verlassen und lostrampen kann, genau wie wir es getan haben, um nach Kalifornien zu gehen.”