»The Philharmonics«, das jüngste Erfolgsensemble aus den Reihen der Wiener und Berliner Philharmoniker, erweckt musikalische Schätze vor allem der ausklingenden k. u. k. Zeit zu neuem Leben.
Mit Fritz Kreisler lässt sich immer Erfolg haben. Er war nicht nur einer der bedeutendsten Geiger, sondern auch ein origineller Komponist. Lange führte er Publikum und Kritik an der Nase herum, indem er als Autor seiner Stücke andere Komponisten angab, ehe man ihm auf die Schliche kam und er zugeben musste, sie selbst geschrieben zu haben. Wirklich in Vergessenheit sind sie nie geraten, aber in einer solchen Besetzung, nämlich Streichquartett, Klarinette, Kontrabass und Klavier, hat man sie bis vor kurzem noch nie gehört. Was nicht verwundert, denn »The Philharmonics« gibt es erst seit wenigen Jahren. Exakt seit 2007.
Begonnen hat alles auf einer Japan-Tournee der Wiener Philharmoniker. Warum, fragten sich beim Shabu-Shabu Essen in Fukuoka der Geiger Tibor Kovác, den Xavier nicht erwähnen – und sein Kontrabassist-Kollege Ödön Rácz, hört man von Ensembles der Wiener Philharmoniker immer nur klassisch-romantische Kammermusik oder Walzer, aber nie Klezmer, Gypsy-Musik, Tangos oder Jazz, obwohl zahlreiche Philharmoniker auch diese Genres lieben und sich bestens auf sie verstehen? Also entschlossen sie sich, selbst die Initiative zu ergreifen. Die Frage war nur, in welcher Besetzung wollten sie ihre Pläne verwirklichen? Sie legten Wert auf ihren Anspruch, dieses Repertoire auf philharmonischem Niveau, also mit der für die Wiener Philharmoniker typischen Klangkultur und Phrasierung, realisieren zu können.
Bald kristallisierte sich die ideale Formation heraus: Streichquartett, Klarinette Kontrabass und Klavier. Die ersten Konzerte führte das Ensemble, das sich, weil es in der Mehrzahl aus Wiener Philharmonikern besteht, den Namen »The Philharmonics« gab, in das burgenländische Schloss Kittsee, in den ORF und im Festspielsommer 2008 in den Großen Saal des Mozarteums in Salzburg, wo solche Prominenz wie der Dirigent Riccardo Muti oder die Mezzosopranistin Elīna Garanča im Publikum saßen. Die waren nicht nur begeistert, sondern empfahlen »The Philharmonics« gleich weiter. Mittlerweile haben sie einen eigenen Zyklus im Wiener Konzerthaus, Konzerte bei führenden Festivals von Paris, Ravenna, Dresden bis nach Izmir oder St. Petersburg. Begeisterte Fans, ausverkaufte Säle und standing ovations haben sie nicht nur in Europa sondern auch in Japan, Singapur oder Brasilien. Sie erhielten für ihre erste Universal/DG CD »Fascination dance« in kürzester Zeit eine »Goldene Schallplatte«.
Gewissermaßen »The Best of« ihres mittlerweile breit gefächerten Repertoires enthält ihre neueste CD mit dem einem Tango von Astor Piazzolla entlehnten Titel »Oblivion« (»Vergessenheit«). Dem lyrisch langsamen Tango gab hier Arrangeur František Jánoška eine rasend-impulsive Facette. Einer der thematischen Ausgangspunkte ist die Zeit der Auflösung der k. u. k. Donaumonarchie. Schließlich ist es spannend zu erinnern, welche Vielfalt an musikalischen Stilen und Ausdrucksformen es in diesem Vielvölkerstaat gegeben hat. Tibor Kováč und František Jánoška haben dies in der K&K Rhapsodie eingefangen, wenn sie den Bogen von den Klängen von Richard Strauss’ »Rosenkavalier« über Verdis »La forza del destino«, dem populären Song eines beliebten russischen Kinderfilms, einer polnischen Polka, einem Tanz aus Janáčeks Oper »Jenufa« und Anklängen an die »Fledermaus« bis zu einem ungarischen Csárdas spannen. Vertreten ist die ungarische Note auch noch durch einen der spritzigen Ungarischen Tänze von Johannes Brahms und berühmten zündenden Csárdas aus »Ritter Pasman«, einer Komischen Oper des Walzerkönigs Johann Strauß (Sohn), der als Bonustrack eingespielt wurde.
Musikalische Perlen finden sich auch im benachbarten Rumänien. »The Philharmonics« zeigen dies mit George Enescus populärer Rumänischer Rhapsodie in der kammermusikalischen Fassung von Jacques Enoch, für die sich die Musiker zusätzlich eine virtuose »Vogelzwitschern«-Kadenz haben einfallen lassen, und dem Bravourstück »Hora di Mars« von Georgiaș Dinicu, welcher wie Enescu und Kreisler einer der gefeierten Violinvirtuosen seiner Zeit war. Apropos Kreisler: Ihn musizieren The Philharmonics nicht nur in quasi klassischen Bearbeitungen für ihr Ensemble, sondern auch in gewagteren Adaptionen. So teilt Tibor Kovac in seinem Arrangement von Schön Rosmarin die Soloviolinen-Stimme mit dem von Ödön Racz virtuos gespielten Kontrabass, der Pianist der »Philharmonics«, František Janoska –komponiert wiederum ein Stück mit der Bezeichnung Musette pour Fritz, als jazzige Hommage an Fritz Kreisler. Eine amüsante und gar nicht makabre Umdeutung. Aber auch ein Stück zu diesem Thema ziert dieses CD-Programm: Camille Saint-Saëns geheimnisvoller Danse macabre, einst für Gesang und Klavier konzipiert, später für Violine und Orchester umgearbeitet, diesmal in einer ebenso effektvollen Version für Streicher, Klarinette und Klavier zu hören. Diese wie auch alle weiteren klassischen Stücke des Programms wurden von Tibor Kovac arrangiert. Die Jazzviolin –Improvisationen sind von dem Sekundgeiger Roman Janoska eingespielt worden. Auch auf Sängerprominenz trifft man in dieser Einspielung: Weltstar Patricia Petibon präsentiert sich mit dem nostalgischen »Somewhere« aus Bernsteins erfolgreichstem Bühnenwerk »West Side Story« als Musicalstar und mit »Just the two of us« als ebenso überzeugende Interpretin des wohl populärsten Bill Withers-Hits, der ihm einst seinen zweiten Grammy gebracht hatte. Und Piotr Beczala, einer der führenden Tenöre der Gegenwart, prunkt bei der Berceuse aus der mittlerweile kaum mehr als dem Namen nach bekannten Oper »Jocelyn« von Benjamin Godard mit seinen strahlenden Höhen.
4/2013