Zwischen 2013 und 2015 waren The Pretty Reckless quasi pausenlos um den Globus unterwegs, um ihr zweites Album live zu präsentieren – jenes ungestüme, wild aufbrausende und von katholischem Schuldbewusstsein inspirierte “Going To Hell”. Die Mischung aus knallhartem Rock & Roll und ungeschöntem Blues, die sie auf diesem Album präsentierten, bescherte der Band eine Top−5-Platzierung in den Billboard-Top−200, während die Singles “Fucked Up World”, “Follow Me Down” und “Heaven Knows” allesamt Platz eins der Mainstream-Rock-Airplaycharts erstürmten. Letztere Single entpuppte sich in den Staaten schließlich sogar als der größte Rock-Radiohit des Jahres 2014, denn der Song “Heaven Knows” hielt sich sage und schreibe 18 Wochen lang an der Spitze der Liste.
Der massive Erfolg von “Going To Hell” bedeutete für die Band aus New York City, dass die Fans sie unbedingt live sehen wollten, und so traten die beiden Songwriter Taylor Momsen (Gesang, Gitarre) und Ben Phillips (Gitarre), die schon seit 10 Jahren gemeinsam Musik machen, zusammen mit ihrem Bassisten Mark Damon und dem Schlagzeuger Jamie Perkins die “Going To Hell Tour” an, in deren Rahmen sie gleich vierfach die USA durchkreuzen sollten, um zwischendurch auch noch drei Abstecher nach Europa zu starten.
Ihre explosiven Live-Shows kamen auf beiden Seiten des Atlantiks dermaßen gut an, dass ihre so schon riesige Fanbase mit jedem Termin weiter wachsen sollte… Obwohl die vierköpfige Band nach der zweijährigen Live-Odyssee nicht nur körperlich, sondern auch emotional ziemlich erschöpft war, stürzten sich Momsen und Phillips gleich danach auf die Arbeit an Album Nummer 3, “Who You Selling For”, das The Pretty Reckless im Oktober bei Razor & Tie veröffentlichen werden. “Es gab da einfach so viele Dinge, die wir loswerden wollten: Als hätten wir unterwegs auf Tour eine Dose so richtig ordentlich durchgeschüttelt – und sie dann nach der Rückkehr geöffnet: alles schoss regelrecht aus uns heraus”, berichtet Momsen über den Prozess.
“Das Leben auf Tour hat ja etwas ziemlich Vereinsamendes: Man betrachtet die Welt nur noch durch ein Fenster, vom Tourbus oder vom Flugzeug aus. Zum Glück kann die Musik da selbst Abhilfe schaffen. Sie ist die einzige Sache, die einen wieder auf den Boden holt und einem Halt gibt, wenn man sich im Wald verrannt hat. Uns hat sie auf jeden Fall gerettet – und das nicht zum ersten Mal.” Was für eine wichtige Rolle die Musik als Balsam für die Seele spielen kann, zieht sich denn auch als roter Faden durch die Songs von “Who You Selling For”.
“Ja, wir hatten es wirklich bitter nötig, diese Gedanken und Gefühle endlich zu kanalisieren und auszudrücken”, meint Phillips rückblickend. “Dabei sind das ja alles Dinge, mit denen die meisten Menschen täglich konfrontiert werden – nur haben viele kein Ventil, um sie abzulassen. Letztlich sagen wir mit den Songs: Gib nicht auf, dein inneres Wesen ist alles, was du hast – und daran musst du festhalten.”
Momsen und Phillips legen im Verlauf des Albums ganz unterschiedliche Regionen ihrer Psyche frei, graben immer tiefer – weil sie beide wissen, was für eine erlösende Kraft in der Musik, im Rock & Roll schlummert. “
Take Me Down”, zugleich die erste
Singleauskopplung, erzählt von einer aussichtslosen Situation, wenn eine verzweifelt wirkende Momsen singt: “I spend all night and day / How much harder can I play? / You know I gave my life to rock and roll?” “Der Song handelt davon, sich eine Sache so sehr zu wünschen, dass man dafür sogar seine Seele verkaufen würde”, erklärt sie und fügt hinzu, dass ihnen in diesem Fall der Song “
Crossroads” von
Bluessänger Robert Johnson als Inspiration gedient habe.
Den Albumtitel haben The Pretty Reckless auch deshalb so gewählt, weil sie ihre Fans damit auffordern wollen, den Blick auf ihr eigenes Leben zu richten und sich selbst diese Frage zu stellen: “Ich finde, man kann damit sehr gut hinterfragen, was man mit seinem Leben anstellt”, meint Momsen. “Diese Formulierung hinterfragt die Bedeutung jeder einzelnen Handlung, jeder Sache, der ich mich widme. Und sie verbindet die Songs der LP zu einem Ganzen, weil sie dazu auffordern soll, jedes andere Stück ebenfalls ganz genau anzuhören – und nach tieferen Bedeutungen zu suchen, die weniger offensichtlich sind.”
Eine breite klangliche Palette also, auf der Momsen ihre ganze Stimmgewalt präsentieren kann: Obwohl sie gerade erst ihren 23. Geburtstag feiern konnte, gilt diese junge Dame nämlich längst als eine der Ausnahme-Frontfrauen in der aktuellen Rock-Landschaft, weil sie gleichermaßen frech und verführerisch, streitlustig und dann wieder ganz sinnlich rüberkommen kann. Allein wie sie’s mit ihrer Mir-doch-egal-Lässigkeit immer wieder darauf anlegt, auf die Gunst der Fans zu pfeifen, ist schon beeindruckend – und es wird mit jedem Jahr noch beeindruckender. (Zur Info: Momsen war gerade mal 15, als sie das Rock/Grunge/Blues-Debütalbum “Light Me Up” mit The Pretty Reckless schrieb, das schließlich im Jahr 2010 erscheinen sollte.) Ihre Stimme wirkt dabei dieses Mal sogar noch intimer, was ganz klar der Aufnahmemethode geschuldet ist, die sie, Phillips und ihr angestammter Produzent Kato Khandwala für das neue Album gewählt haben.
Einfach nur dieser Moment." Der bedingungslose Wille der Band, in den Songs wirklich alles von sich preiszugeben, hat The Pretty Reckless eine massive und eingeschworene Fanbase beschert: Fans, die sich mit der Offenheit der Texte, dem Kein-Blatt-vor-den-Mund-Ansatz und dem druckvollen Sound von Momsen & Co. identifizieren können. “Mein Leben war bisher einfach so unfassbar schräg”, sagt die Sängerin abschließend. “Ich habe mich schon immer als Einzelgängerin gesehen: Ich war allein und zog um die Welt, unterwegs auf irgendeiner Mission, von der ich selbst nicht so genau sagen konnte, worin sie eigentlich besteht.
”Unsere Fans sind diejenigen, die einfach immer da waren für uns. Sie haben uns den Rücken gestärkt, sind mit uns durch dick und dünn gegangen. Ich bin ihnen dafür wahnsinnig dankbar. Und sie inspirieren mich zum Weitermachen, auch dann, wenn ich wirklich nicht mehr weiß, wie das gehen soll. Ich weiß, dass das schon so oft gesagt wurde, aber es stimmt: Ohne sie wäre ich heute nicht hier. Sie sind es, die all das hier erst möglich machen."