Toksï hat Soul in der Blutbahn und eine klassische Gesangsausbildung im Lebenslauf. Sie findet das Poetische im Alltäglichen und das Einfache in den großen Themen unserer Zeit. Sie hat die Stimme, den Look, die Haltung. All das macht sie zu einer der größten Versprechungen, die Pop-Deutschland derzeit zu bieten hat. Better get familiar.
“It’s mostly the voice that lifts you up”. So hat es ein weiser Mann einmal gerappt. Auf die Sängerin Toksï trifft das gleich in doppelter Hinsicht zu. Sie hat die seltene Gabe, mit ein paar Silben alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, allein durch die Kraft ihrer Stimme. Besonders klingt sie, auf eine angenehme Weise eigenwillig: so als hörte man ihr besser mal zu, damit man nicht gleich eine verdammt gute Geschichte verpasst. Gleichzeitig scheint die Musik auch Toksï selbst zu erheben. Wenn man der Wahlberlinerin im Alltag begegnet, wirkt sie erst zurückhaltend – nicht schüchtern, eher von einer natürlichen Gelassenheit, wie man sie in Zeiten kollektiven Mitteilungswahns nur noch selten findet. Sobald sie aber die Bühne betritt, leuchtet sie. Und alles um sie herum.
Geboren wurde Toksï als Tochter zweier Musiker in Heidelberg. Im Alter von sieben Jahren zog sie zusammen mit ihren sechs Geschwistern und mindestens doppelt so vielen Musikinstrumenten in die nordische Kleinstadt Schleswig. Dort lernte sie Geige und sang im Chor – Familienehrensache. Pop dagegen war tabu. Erst als ihr großer Bruder Aaliyah und Missy Elliott für sich entdeckte, war es auch um Toksï geschehen. “Ich weiß immer noch, wer wir waren / als ‘Hit Me Baby One More Time’ ins Radio kam” heißt es auf einem ihrer noch unveröffentlichten Songs. Es ist mehr als eine augenzwinkernde Anekdote, die Toksï da erzählt. Es ist ihre musikalische DNS. Die Teenie-Helden der späten Neunziger. Die großen Soul-Diven. Rapper wie Eminem und Puff Daddy. Schließlich Ikonen wie Beyoncé. Toksï sog all das in sich auf. Und lässt es heute in ihren eigenen Songs weiterleben.
Es gibt dieses Missverständnis im deutschen Pop: dass er tiefsinnig klingen muss, gleichzeitig aber nix aussagen darf. Toksï stellt sich mit voller Überzeugung gegen diese Beliebigkeit der Kalenderspruch-Poeten aus dem Einheitsradio. Das Geschwollene, das einem so auf den Sack gehen kann (eine typische Toksï-Formulierung!) fehlt ihren Songs komplett. Sie singt in grellen Bildern voller Farbe und Kontrast, mit großer Klappe und einem dritten Auge für die Absurditäten des Alltags. “Du willst mir an mein’ süßen Arsch / doch ich hab dich an den Eiern”, singt sie auf der Anti-Schmierlappen-Hymne “Ich mag dich nicht”. Damit ist alles gesagt, was in so einem Moment zu sagen ist.
Toksï selbst bezeichnet ihre Musik als ‘Hip-Pop’: freshe Beats und eingängige Melodien. Sie ist ein Kind jener Zeit, als Rap endgültig Mainstream und der Mainstream wieder cool wurde: der Zeit von Timbaland und den Neptunes, Justin und Britney. Daher rührt ihr spezielles Gefühl für Rhythmik, ihre Phrasierung ist beinahe Sprechgesang. Gleichzeitig sind da ihre so spezielle Stimmfarbe und ihre Wurzeln in der Klassik. Es sind genau diese Kontraste, die ihre Songs so interessant machen. Toksï, die Pop- und Rampensau, die ihren Haydn verinnerlicht hat. Toksï, der Familienmensch, die einen Song mit ihrem Bruder macht (“Hermanito”), aber dennoch immer ihren eigenen Weg ging: mit 17 aufs schwäbische Internat und später nach Hamburg, dann nach Berlin. Toksï, der Hip-Hop-Fan, der über vermeintlich Banales wie Clubs und Ca$h singen kann, aber ein tiefes Interesse an Spiritualität hegt. Schwarzweißes Denken hat in Toksïs Welt keinen Platz. Stattdessen nimmt sie sich die Freiheit, einfach sie selbst zu sein.
Ein gutes Beispiel dafür ist “Gold Digga”. Der Song ist ein Tagtraum von einem Bad in Dagoberts Geldspeicher, mit funkelnden Dollarzeichen in den Augen und schamlosen Fantasien von Schampus, Privatjets und Banküberfällen. Der Song ist heillos übertrieben, vor allem aber ist er ehrlich: Wer noch nie vom Jackpot geträumt hat, heißt entweder zufällig Paris Hilton oder traut sich einfach nicht. “Ich habe den Song zu einer Zeit geschrieben, als ich ziemlich pleite war”, erinnert sich Toksï. “Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass jeder mal von 'ner Million träumt, es am Ende aber nicht ums Materielle geht”. Wir sind alle Goldgräber – aber der wahre Schatz ist, rechtzeitig zu erkennen, dass man mit einer Rolex auch nur die Uhrzeit überprüfen kann.
“Gold Digga” ist eines von fünf Stücken auf Toksïs erster EP “Märchen”, die im Juni 2017 erschienen ist. Es geht darauf um verblichene Liebe, um die Like-Sucht der Influencer und Möchtegern-Influencer, um Typen mit Bizepspolstern unter der Bomberjacke. Es geht um die Welt, in der wir leben, und um das, was wir ändern können, wenn wir wirklich wollen. Es geht um ganz wichtige Nichtigkeiten und um die großen Themen, die gar nicht so groß sein müssen, wenn man bei sich selbst beginnt. Es sind Lieder einer leidenschaftlichen Texterin, die schon als Kind Tagebuch schrieb, sich mit ihrer Brieffreundin 20-Seiten-Romane hin und her schickte und ihre Freundinnen dazu animierte, eine eigene Zeitung zu machen – und die nun endlich die perfekte Plattform für ihre Worte gefunden hat. Es sind aber auch die Lieder einer Instinktsängerin, die sich dann am wohlsten fühlt, wenn sie diese Worte zu Klang machen kann. “Der Spaß am Singen ist meine größte Motivation”, erklärt Toksï. “Das wird für mich immer an erster Stelle stehen.”
Derzeit arbeitet Toksï an ihrem Debüt. Das Album sieht sie als konsequente Verlängerung ihres Schaffens, so wie Songschreiben für sie ohnehin ein sehr natürlicher Prozess ist. Toksï auf Platte ist Toksï im Leben, und umgekehrt. Bekennende Langschläferin und Sportmuffel voll mit Energie. Ein nachdenklicher Querkopf, mit dem man allen Spaß der Welt haben kann. Eine heimliche alte Seele, die von einem klassischen Ford Mustang träumt und trotzdem geradewegs nach vorne geht.
Im nächsten Leben übrigens wird Toksï Astronaut. Das Raumschiff hat sie schon gebaut. Höchste Zeit also, Teil dieser ganz besonderen Reise zu werden.