Mit ihren bisherigen drei Alben “Glittercard” (2003), “Prayers & Observations” (2005) und “Passage” (2010) konnte sich Torun Eriksen als eine der unverwechselbaren Stimmen der aktuellen norwegischen Musik etablieren. Die von ihr selbst komponierten Songs waren stets direkt und persönlich, subtil und doch auch universell. Mit “Visits” öffnet Torun nun eine andere Tür zu ihrer musikalischen Welt. Denn diesmal präsentiert sie eine Auswahl von zehn Songs sehr verschiedener anderer Künstler, die sie an einem gewissen Punkt ihres Lebens geprägt haben.
Doch Torun Eriksen wäre nicht sie selbst, wenn sie diesen Nummern nicht ihren ganz eigenen Stempel aufdrücken würde. Dabei lässt sie ein paar sehr familiäre Song völlig neu klingen und ein paar andere, weniger bekannte Stücke merkwürdig vertraut.
“Es gibt viel zu viele wunderbare Songs, als dass man einen davon als seinen Favoriten herauspicken könnte”, meint Torun. “Selbst zehn auszuwählen, fällt schwer. Und unter meinen Favoriten gibt es einige, die ich selbst nie zu singen wagen würde. Ich liebe sie als Hörerin und dabei werde ich es voraussichtlich auch immer belassen. Deshalb habe ich mich entschieden, dieses Album zu machen. Ich musste über die Idee, einfach ein paar Favoriten zu präsentieren, hinausgehen. Die zehn Nummern habe ich sorgfältig ausgesucht. Jedes dieser Stücke prägte mich – als Mensch, Sängerin und Songschreiberin – auf die eine oder andere Art, seit sie in mein Leben traten. Manche sofort, andere erst viel später. Die Zusammenstellung dieser Songs kam für mich deshalb einer Reise durch Zeit und Raum gleich, die mir erlaubte, die wundervollen musikalischen Welten von Künstlern, die ich zutiefst bewundere, zu besuchen. Ich habe sie studiert und mich in ihre Geschichten vertieft. Und nun hoffe ich, meinem Publikum das, was ich gefunden habe, in einer ehrlichen und persönlichen Weise zu vermitteln.”
Torun Eriksen beginnt das Album mit “Beat Angels”, einem der vielen Songs, die Sal Bernardi für Rickie Lee Jones schrieb. “Ich kaufte ‘Traffic From Paradise’ von Rickie Lee Jones nicht lange nach dem Erscheinen des Albums [1993] und ich habe es seitdem unzählige Male mit Begeisterung gehört”, erzählt Torun. “Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund musste ich erst 36 Jahre alt werden, um diesen speziellen Song wirklich zu entdecken. Vielleicht war ich vorher einfach nicht reif genug für ihn. Ich mag die ehrliche und unprätentiöse Art, mit der in diesem Song Dunkelheit und Chaos beschrieben werden. Dieses Lied zu singen, gibt mir Hoffnung und Mut, meine eigenen dunklen Ecken auszuleuchten. Es ist ein kraftvoller Song.”
Und gemeinsam mit den anderen neun Songs, die Torun Eriksen auf “Visits” interpretiert, ist “Beat Angels” auch ein wunderbarer Beweis für die Vielseitigkeit dieser Sängerin. Während einen einige Nummern des Repertoires (wie Tom Waits' “Downtown Train”, James Taylors “You Can Close Your Eyes”, Randy Newmans “Feels Like Home”, Paul Simons “American Tune” und selbst Glen Campbells “Wichita Lineman”) nicht völlig überraschen sollten, wenn man den musikalischen Background der norwegischen Sängerin und Songschreiberin kennt und ihren Werdegang verfolgt hat, tanzen andere (Coldplays “Fix You”, Princes “Sign O' The Times”, D’Angelos “Spanish Joint” und Pink Floyds “Wish You Were Here”) auf den ersten Blick stilistisch sehr aus der Reihe.
Mit dem einen oder anderen Song von “Visits” dürfte auch die Mehrzahl der Hörer eigene Erinnerungen verbinden, die ihr Leben zu irgendeinem Zeitpunkt oder gar dauerhaft geprägt haben. Und für die Hörer, die bisher mit keinem einzigen Stück dieses Albums vertraut waren, könnte diese Kollektion selbst prägend werden. Torun Eriksen und ihre Musiker (Keyboarder David Wallumrød, Bassist Audun Erlien und Schlagzeuger Ola Hultgren) behandelten jedes einzelne Stück mit einer Mischung aus angemessenem Respekt, Innovationslust und sublimer Zurückhaltung. Ihre Interpretationen sind nie exzessiv und auch nie zu verzagt. Dass Torun Eriksen es versteht, diese wunderbare Balance zu halten, macht sie zu einer der herausragenden Sängerinnen der heutigen Zeit.