1996 lieh sich Fran Healy 600£ von seiner Mutter, um damit die Aufnahmen zu Travis’ erster Single „All I Want To Do Is Rock“ zu finanzieren. Der Titel war Programm: Mit selbst designtem Cover erschien die Single auf dem bandeigenen Label Red Telephone Box. Eine Auflage von nur 750 Exemplaren reichte aus, um die steile Karriere der vier Schotten loszutreten. Mittlerweile haben sie nicht nur unzählige Hitsingles eingefahren, sondern auch Awards, Platinauszeichnungen und Headlineslots auf den größten Festivals.
Jetzt, zwölf Jahre später, erscheint ‘Ode To J Smith’, Travis’ lauteste, kantigste und packendste Platte seit dieser ersten Single. Da scheint es nur angemessen, Red Telephone Box neu auferstehen zu lassen. Und auch das Artwork ist wieder das Werk von Fran Healy. Der große Unterschied ist, dass 10 Millionen verkaufte Alben später Mrs Healys finanzielle Unterstützung nicht mehr benötigt wurde.
“Es ist, als hätte die Uhr eine komplette Umdrehung gemacht,” sagt Healy, der ewig sympathische Frontmann der Band. „Zwölf Jahre später starten wir wieder voll durch.“ Bassist Dougie Payne stimmt zu: „Dieser ganze Prozess war extrem spannend und erfrischend.“
Nachdem sie fast ein Jahr lang mit ihrem herrlich melodischen Album ‘The Boy With No Name’ auf Tour gewesen waren und vor tausenden von Fans rund um den Erdball gespielt hatten, landeten Travis Ende 2007 wieder zu Hause, in London. Und es war an der Zeit, einige Entscheidungen zu treffen.
“Die Tour war der Hammer,” erzählt Healy. „Wir hatten mehrere Jahre nicht richtig getourt, und bekamen nun endlich wieder Kontakt zu unseren Fans. Aber als wir nach Hause kamen, liefen unser Plattenvertrag und der Publishingdeal aus. Wir waren total frei.“
Travis hatten verschiedene Angebote auf dem Tisch, beschlossen aber, ihren eigenen Weg zu gehen. “Wir kontaktierten die besten Leute, mit denen wir im Laufe der Zeit gearbeitet hatten und machten alles in Eigenregie,“ sagt Healy. „Verglichen mit einem großen Label ist Red Telephone Box eher eine Wohnzimmerfirma. Aber so behielten wir die Kontrolle und alle möglichen Freiheiten. Alle Bands, denen wir davon erzählen, beneiden uns darum.“
Das war allerdings nicht die einzige Frage, die sich Ende 2007 stellte. Bassist Dougie Payne erwartete sein erstes Kind im März 2008 und die Band hatte ihm einige Monate Vaterschaftsurlaub versprochen. So musste die Arbeit am Album entweder bis zur zweiten Jahreshälfte warten (wodurch allerdings der Hype, den die Tour erzeugt hatte, verloren gegangen wäre). Oder sie müssten das komplette Album innerhalb der drei Monate vor der Geburt schreiben und aufnehmen. Wie man sieht, haben Travis sich für Letzteres entschieden.
“Wir hatten für BBC Radio 2 einen Song für den 40. Jahrestag von Sergeant Pepper aufgenommen, zusammen mit dem alten Tontechniker der Beatles,“ erklärt Healy. „Das hat uns wahnsinnig inspiriert. An unserem vorherigen Album hatten wir zwei Jahre gemütlich gearbeitet. Aber in den 60ern stellten Bands ihre Platten innerhalb weniger Wochen fertig. Wir wussten, dass wir dieses Zeitfenster von drei Monaten hatten, also hängten wir uns rein.“
Die Band buchte 14 Tage in einem Studio für Februar 2008 und verschanzte sich in einem Proberaum in West London um Songs zu schreiben. „Wir wollten ein paar neue Richtungen und Sounds ausprobieren,“ sagt Healy, „also kaufte ich eine alte Fender Jazzmaster und einen klassischen Vox AC30 Verstärker und beschloss, das Album auf der E-Gitarre zu schreiben. Das hatten wir seit unserer ersten Platte nicht mehr gemacht. So ziemlich alle Songs entstanden in diesen Sessions im Proberaum.“
“Wir haben uns viele Freiheiten mit dem Sound genommen,” erklärt Payne, der drei der zehn Songs mitgeschrieben hat. „Wir wollten, dass dieses Album ein paar Ecken und Kanten hat. Ich liebe alle unsere Alben. Aber in der Vergangenheit war unser Sound so glatt, dass man fast darauf ausrutschen konnte. Das ist diesmal nicht der Fall. Wir haben uns wirklich angetrieben. Es ist Prog Pop; da passiert so viel innerhalb der 3-minütigen Songs.“
Das beste Beispiel ist das fantastische ‘J Smith’: eine super-eingängige Melodie, mehrere Gitarrensolos, ein falsches Ende und ein dramatischer Chor – alles in zweieinhalb Minuten Rock ‚n’ Roll.
Wie der Titel schon vermuten lässt, definiert dieser Song das komplette Album. Waren Frans Songs früher hauptsächlich autobiographischer Natur, drehen sie sich nun mehr um andere Figuren. „Es war ziemlich befreiend, so zu schreiben. Und durch diesen glücklichen Zufall erhielt das Album eine beinahe prosaische Erzählweise.“
“Ich glaube fast, dass man ehrlicher und offener sein kann, wenn man so schreibt,” fügt Payne hinzu. „Wenn man über sich selbst schreibt, verschweigt man unwillkürlich einige Dinge, oder schützt sich, indem man nur bestimmte Details preisgibt. Wenn man einen fremden Charakter zur Verfügung hat, kann man eigentlich alles erzählen.“
Was das Album allerdings zusammen hält, sind nicht diese Geschichten, sondern die Art, in der es entstanden ist. „Normalerweise schreibe ich ein paar Songs, über den Zeitraum eines Jahres, und dann nehmen wir sie auf und fügen das Album zusammen. ‘Ode To J Smith’ wurde aus notwendigem kreativem Druck geboren; wir brauchen ein Album, es muss großartig werden und es muss im März fertig sein. Vielleicht ist das der Grund, warum diese Platte das zusammenhängendste ist, was wir je produziert haben. Wenn man so schnell arbeitet, hat man wenig Gelegenheit, zu reflektieren. Da muss man entschlossen sein.“
Die Songs wurden innerhalb von fünf Wochen geschrieben und dann begab sich die Band mit dem Produzenten Emery Dobyns (Antony & The Johnsons, Patti Smith, Battles) in die Londoner Rak Studios, um das Album in nur 14 Tagen einzuspielen. „Wir nahmen analog auf 16 Track auf, was allgemein als der beste Sound gilt,“ sagt Healy. „Der Haken ist, dass man fast alles live einspielen muss, wenn man nur 16 Spuren hat.“ „Das hätten wir zu Anfang unserer Karriere gar nicht hingekriegt,“ sagt Payne. „Aber ich denke, mit zwölf Jahren Banderfahrung hat unser Spiel die nötige Sicherheit.“
Nach genau 14 Tagen verließen Travis die Rak Studios und waren sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Und das mit Recht, denn ‘Ode To J Smith’ klingt nach einer neugeborenen Band, mit frischer Inspiration und Energie. Andererseits haben sie immer noch die mitreißenden Melodien und alltäglichen Gefühle, mit denen sie so viele Herzen erobert haben. Sechs Tage nachdem der ‚Stop’-Knopf gedrückt wurde, kam Paynes Sohn auf die Welt.
“Wir haben uns wirklich bis zum Äußersten gepusht,” sagt Healy, der anschließend noch mit Dobyns nach New York flog, um ‘Ode To J Smith’ in den Electric Lady Studios abzumischen. „Ich glaube, wir haben das coolste Album unserer Karriere gemacht“. Ist es das beste? „Das werden wir nicht wissen, bis wir fertig sind, und davon sind wir noch weit entfernt“.