Album „Seeds“ – 14.11.2014
Single “Happy Idiot” – Out Now
Auf „Seeds“ präsentieren sich die New Yorker experimentierfreudig, farbenfroh und überraschend optimistisch.
Mit einflussreichen Alben und euphorisierenden Live-Konzerten haben sich TV On The Radio zu internationalen Kritikerlieblingen und erfolgreichen Grenzgängern zwischen Indie-Rock und Mainstream, Kunst und Kommerz sowie Williamsburg und Beverly Hills gemausert. Eine Position, die man nicht einfach aufgibt – obwohl der Druck nach dem letzten Album „Nine Types Of Light“, das Platz #12 der amerikanischen Billboardcharts erreichte, auch nicht gerade weniger wurde und man eigentlich genug andere aussichtsreiche Projekte am Start hat.
Doch für das Kollektiv aus dem Big Apple ist eine Trennung keine Option, ja noch nicht mal ein Gedanke. „Das wäre irgendwie feige“, lacht Sänger/Gitarrist Kyp Malone. „Eben als ob man seine besten Kumpels im Stich lässt, nur weil man eine junge, heiße Braut kennengelernt hat. Freundschaft ist immer noch wichtiger als Sex. Meistens jedenfalls…“
Somit gibt es nach zwei Singles auf David Siteks „Federal Prism“-Label, die sich als Test für die veränderte Band-Chemie verstanden, auch keine andere Ansage, als sich im Frühjahr 2014 in Siteks Heimstudio in Beverly Hills zu treffen und bei entspannten BBQs (Motto: „Lamb & Weed“) ein ganzes Arsenal an Songs zu schreiben, das – für TVOTR-Verhältnisse – geradezu ungewohnt optimistisch ist. Auch, wenn sie in diesem Kontext eher von etwas „Unbewusstem“ und „Intuitivem“ reden.
Schon mit dem Opener „Quartz“ beginnt ein Requiem an eine verflossene Liebe oder einen verlorenen Freund, mit der/dem man sich zwar oft gestritten hat, die/der für viel Herzschmerz sorgte, aber im Nachhinein doch nichts als gleißendes Sonnenlicht und Ringelblumen hinterlässt. Ein Ansatz, der sich wie ein roter Faden durch das gesamte Album und die Kompositionen von drei grundverschiedenen Songwritern (Kyp Malone, Tunde Adebimpe, David Sitek) zieht. Da geht es um essentielle Fragen wie Gedanken zu Beziehungen, Liebe und Freundschaften, die sie aus allen erdenklichen Blickwinkeln angehen, und dabei zu einem ähnlich optimistischen Tenor kommen. Eben: „Es ist viel schiefgelaufen und es hat viele Nerven gekostet, aber letztlich war es das wert. Und noch viel wichtiger: Es geht weiter. Gemeinsam. Gestärkt. Mit klarem Blick nach vorne.“ Was sich in Stücken wie „Careful You“, „Test Pilot“, „Love Stained“, „Ride“ bzw. „Right Now“ manifestiert. Eben dass alles Negative und Schmerzhafte auch die Saat für etwas positives Neues birgt.
Trotzdem ist „Seeds“, das neue und fünfte Album, keine musikgewordene Gruppentherapie, um den Verlust von Bassist Gerard Smith zu verarbeiten. Dafür ist die Musik, die sich zwischen 60s Beat, Surf, Noise-Pop, Electronica und purer Avantgarde bewegt, einfach zu vielseitig und verspielt, während die Band in Punkto Coolness, Ehrgeiz, aber auch Humor kaum zu überbieten ist. Was sich z.B. in „Winter“ äußert, einem Song, den Sitek mit der Sängerin Kathryn Guerra verfasst hat: Eine Liebesgeschichte in bester Serge Gainsbourg-Manier, bei der ein ach so harter Typ mit seiner neuesten weiblichen Errungenschaft prahlt – nur damit sie zum Ende des Songs säuselt: „Vielleicht behalte ich dich ja für den Winter.“ Eine unverhoffte Wendung, die Sitek zu lautem Lachen verleitet: „Das Stück sticht auf jeden Fall hervor. Und sei es nur, weil es auch mal unsere witzige Seite betont“.
Die, da ist sich das Kollektiv sicher, wurde in der Vergangenheit viel zu oft ignoriert und verkannt. Einfach, weil hippe Musiker (als die sie sich nie gesehen haben) scheinbar immer bierernst sein müssen. Weil Indie-Rock (von dem sie sich ausdrücklich distanzieren) stets cool wie ein Eisfach ist, und weil sie von Kritikern, Fans wie Kollegen schlichtweg falsch verstanden wurden. Denn TVOTR sind nicht mehr Anfang zwanzig und sie wollen weder Teil einer Szene noch Gefangene einer Schublade sein, sondern einfach nur ihr Ding machen.
Was im Falle der ersten Single „Happy Idiot“ zu einem der temporeichsten und vielleicht auch eingängigsten Songs ihrer Karriere führt – inklusive eines denkwürdigen Video-Clips mit Starbesetzung. Nämlich neben TVOTR in schneeweißen Anzügen noch Paul Reubens alias Pee-wee Herman als Rennfahrer, der durch die sengende Hitze der kalifornischen Wüste rast und dabei von immer neuen Inkarnationen der schottischen Schauspielerin Karen Gillan („Doctor Who“) abgelenkt wird. „Wir sind große Fans von beiden“, gesteht Kyp. „Zum einen Karen, weil sie anbetungswürdig ist. Aber auch Pee-wee, dessen Filme ich als Kind gar nicht oft genug sehen konnte. Und wie sich herausstellte, mag er unsere Musik, womit wir nie gerechnet hätten. Aber ich hätte ja auch nicht gedacht, dass ich mal bei 45 Grad im Schatten in der Wüste stehe und einen Anzug trage. Das Leben ist voller Überraschungen.“
Mit denen werden uns Kyp Malone, David Sitek, Tunde Adebimpe und Jaleel Bunton auch in Zukunft konfrontieren. Sei es mit neuen, spannenden Alben wie „Seeds“, mit Siteks kommenden Veröffentlichungen als Labelboss und Produzent, mit Tundes oder Kyps Nebenprojekten sowie einer kollektiven Europatournee, die im Frühjahr 2015 auch in Deutschland Station machen soll. „Wir haben hier einige unserer besten Konzerte gespielt“, schwärmt Kyp. „Außerdem ist euer Essen klasse, also wir kommen wirklich gerne hierher.“ Genaue Daten folgen in Kürze!