Sein Status lautet längst: Lebende Legende! Und das nicht nur, weil Udo Lindenberg seit Dekaden zum harten Kern der deutschsprachigen Rockmusik gehört. Im Grunde ist er ja sogar deren Protagonist, der eigentliche Begründer. Sondern auch, weil er ein künstlerisches Unikat ist, ein Mann mit unverrückbaren Standpunkten, mit klaren Aussagen trotz oder gerade wegen seiner faszinierenden Sprachkreationen oder dem nuscheligen Gesang, ein Live-Performer, der immer und immer noch alles gibt. Dafür lieben ihn seine Fans zutiefst. Vor allem ist er aber auch eine bedeutsame Stimme in der hiesigen Popkultur, die nicht zuletzt den innerdeutschen Dialog maßgeblich mit beeinflusste, etwa als er 1983 die fabelhafte Glenn Miller-Adaption “Sonderzug nach Pankow” veröffentlichte und in der DDR auftrat oder 1987 den damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit Lederjacke und Gitarre nach dem Motto “Gitarren statt Knarren” beschenkte und dafür im Gegenzug eine Schalmei erhielt. Alle diese Items sind inzwischen in Museen zu finden, die Ereignisse sind Geschichte.
Genauso Geschichte wie seine Musik aus dieser Zeit und den Jahren danach, genauer gesagt den Jahren 1983 bis 1998, als er auf dem Polydor-Label für einen riesigen Fundus an Hits, Songs und Alben für Furore sorgte, Sachen, die später teilweise aber auch und natürlich zu Unrecht wieder in der Versenkung verschwanden. Der kleine Dorn im Auge des Künstlers wird jetzt endlich entfernt: In Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg himself hebt Universal diesen Schatz und veröffentlicht am 07.12.2018 mit “Das Vermächtnis der Nachtigall 1983 – 1998” seinen gesamten Polydor-Katalog in einem edlen Box Set.
Die streng limitierte und zudem nummerierte Box im angemessenen klassischen LP-Format umfasst sämtliche 17 Studio-Alben aus dieser Zeit, angefangen von “Odyssee” (1983) bis hin zur “Zeitmaschine” (1998). Dazwischen finden sich neben Lindenberg-Klassikern wie “Götterhämmerung” (1984), “Phönix” (1986) samt Mega-Hit “Horizont” oder “Bunte Republik Deutschland” (1989) auch die beiden Hommage-Kollektionen an seine geliebten Eltern “Hermine” (1988) und “Gustav” (1991) sowie “Belcanto” (1997), das mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg eingespielt wurde. Zudem wurde das 1996er-Album “Und ewig rauscht die Linde” hierfür komplett neu abgemischt. Alle 226 Songs dieser Studio-Alben wurden sämtlich remastered!
Zu den Pretiosen dieser umfassenden Edition zählen auch die beiden englischsprachigen Alben “I Don’t Know Who I Should Belong To”, erstveröffentlicht 1987 und jetzt erstmals auf CD zu haben, sowie “Casanova”. Diese 1988 aufgenommene Scheibe blieb bis heute unveröffentlicht. Ein zusätzliches spezielles “Raritäten”-Album enthält seltene Tracks, Remixe und alternative Versionen, eine Bonus-DVD offeriert Highlights aus Udo Lindenbergs Musikvideo-Historie. Das 68-seitige Hardcover-Buch enthält ein Vorwort vom Maestro persönlich, exklusive Liner Notes zu jedem einzelnen Album vom arrivierten Musikjournalisten Michael Fuchs-Gamböck, eine Weltchronik zu den besagten Jahren und zu guter Letzt zahlreiche rare Fotos und Memorabilia aus dem Udo Lindenberg-Archiv. Ein weiteres Sammler-Schmuckstück ist das doppelseitige Poster mit dem “Sündenknall”-Gemälde auf der einen und dem UDO-Mosaik auf der anderen Seite.
Auch wenn Udo Lindenberg so dermaßen mit Hamburg assoziiert wird wie sonst vielleicht nur noch Hans Albers oder Freddy Quinn – mag mit seiner langjährigen Residenz im noblen Hotel “Atlantic” zu tun haben -, der eigentliche Startpunkt von Leben und Karriere liegt im westfälischen Gronau nahe der holländischen Grenze, wo er 1946 geboren wurde. In seiner Jugend war er vor allem als Schlagzeuger aktiv. Nach einer Kellner-Lehre in Düsseldorf, wo er in den Altstadtkneipen trommelte, und einem einjährigen Gastspiel auf einem US-Luftwaffenstützpunkt im lybischen Tripolis, einem begonnenen Musikstudium im Münster und dem Wehrdienst ging er im Jahr 1968 nach Hamburg. Dort schloss er sich der Folk-Combo City Preachers an, gründete zusammen mit Peter Herbolzheimer die Band Free Orbit, und spielte bei der Brass Rock-Formation Emergency sowie dem Percussion-Ensemble Niagara. Die vielleicht wichtigste Etappe dieser Zeit war sein Engagement bei Klaus Doldinger in dessen Bands Motherhood und Passport. Übrigens ist er auch der Drummer auf Doldingers legendärer “Tatort”-Musik.
Parallel erschien 1971 mit “Lindenberg” die erste eigene und noch englischsprachige Scheibe, die wenig Widerhall erzeugte. Ein Jahr später kam das erste deutsche Album “Daumen im Wind” heraus, das sich dank der Single “Hoch im Norden” schon besser verkaufte. Mit der 1973 veröffentlichten Platte “Andrea Doria” kam dann der Durchbruch auf breiter Publikumsfront. Mit seinen ungewöhnlichen Texten, den von ihm kreierten skurrilen Figuren und dem satten Rock seines Panikorchesters begeisterte er und fand, besser erfand er sein eigenes Genre. Nach zwölf Jahren beim Telefunken-Label wechselte er 1983 zur Polydor und landete mit besagtem “Sonderzug nach Pankow” gleich einen Mega-Hit. Nach zahlreichen Höhen, aber auch dem ein oder anderen Tiefschlag – z.B. erlitt er 1989 einen Herzinfarkt – wechselte er Ende der 1990er Jahre nochmals die Labelfronten und verließ die Polydor.
Produktiv blieb er aber wie eh und je. Musikalisch und live on stage sowieso. Und die Liste seiner Tätigkeiten und Errungenschaften liest sich eher wie die Karriere mehrerer Leute. U.a. malt er, kreierte Briefmarken für die Bundespost, es gibt das auf seinen Songs basierende Musical “Hinterm Horizont”, es wurden Plätze und eine Schule nach ihm benannt, er rief die Udo-Lindenberg-Stiftung ins Leben und er erhielt zahllose Preise und Auszeichnungen.
Verstehen wir somit auch “Das Vermächtnis der Nachtigall”, diese umfassende neue Edition mit 20 CDs und einer DVD, als notwendige Hommage an diesen großartigen Künstler. Oder wie es Udo Lindenberg in seinem Vorwort typisch umschreibt: “Ist ja echt alles super liebe- und ehrenvoll aufbereitet hier.”