White Lies | Biografie

White Lies- Biografie 2013

Als Headliner in der Londoner Wembley Arena zu spielen ist wohl für jede Band ein großartiger Abschluss einer Tour zum aktuellen Album. Diesen Moment erlebten White Lies im Dezember 2011, nachdem sie ein Jahr lang unterwegs gewesen waren, um ihr zweites Album Ritual” live zu präsentieren. Und dieser Augenblick war für die Band und ihre Fans gleichermaßen etwas ganz Besonderes, das man sich kaum besser hätte erträumen können. Doch angesichts der Tatsache, dass damit außerdem ein vierjähriger Zeitraum der ununterbrochenen Arbeit ein Ende fand – die Band hatte direkt nach den Auftritten zu ihrem ersten Album, das in Großbritannien Platz 1 erreicht hatte, mit den Aufnahmen des Nachfolgers begonnen – stellte die Show auch einen Schlusspunkt dar.  Zeit für eine Pause. Bis auf einige vereinzelte Konzerte in Europa sollte das Jahr 2012 frei gehalten werden. Zeit zum Nachdenken. Zum Überdenken. Zeit, die großartigen Erfolge Revue passieren zu lassen und zu überlegen, welche Ziele man als Nächstes ins Auge fassen sollte.
“Nach der Tour zu dem Album hatten wir auf jeden Fall das Gefühl, einiges gelernt zu haben, auch darüber… was wir bei diesem Album nicht machen wollten”, sagt Sänger und Gitarrist Harry McVeigh. “Vor allem wollten wir bei diesem Album alles um einiges einfacher halten.”
Dies stellt in vielerlei Hinsicht einen klassischen Werdegang einer Band dar: erst ein wahnsinnig erfolgreiches Debutalbum voller präziser, ausdrucksstarker und direkter Songs herausbringen, die auf jeden Fall beim Publikum ankommen. Dann, wenn die Welt endlich zuhört, beschließen, dass ein paar Experimente, Innovationen und Risiken in Sachen Sound auch nicht schaden können. All das um dann festzustellen, dass sich aus diesen Erfahrungen und Abenteuern die Essenz der eigenen Identität als Band herausfiltern lässt.
“Wir kennen jetzt unsere Stärken”, stimmt Bassist und Texter Charles Cave zu. "Jedes Mal, wenn wir live gespielt haben, haben wir gemerkt, dass Songs wie “Death” oder “Bigger Than Us” jeden Abend gut ankommen, ohne auch nur einmal zu versagen, also dachten wir bei diesem Album eher ‘Gut, jetzt wissen wir, dass die Leute zu dieser Art Songs emotionale Bindungen aufbauen, dass die wirklich Gefühle bei ihnen wachrufen, wie können wir mehr davon machen und das Ganze auch noch verbessern?’. Wir wollten analysieren, was da passierte und uns bewusster darüber sein."
Harry fährt fort: “Beim zweiten Album hatten wir uns in den Kopf gesetzt, uns mehr auf Soundtechnik und Produktion zu konzentrieren und diese Aspekte vielleicht mehr in den Vordergrund zu stellen als traditionelles Songwriting. Ich kann mir vorstellen, dass eine Band wie Nine Inch Nails so an die Entstehung eines Albums herangeht. Aber nachdem wir das getan hatten und damit auf Tour gegangen sind, war uns klar, dass wir das nicht noch einmal machen wollten. Bei diesem Album wollten wir den Schwerpunkt wieder auf das Songwriting legen und nicht auf den Aufnahmeprozess. Wir haben erkannt, dass wir so Fortschritte machen und dass diese Fortschritte uns immer näher an das heranbringen, was den Kern von White Lies bildet. Wir kratzen also immer mehr an unserer eigenen Oberfläche und versuchen sozusagen, das reine Herz freizulegen.”
Für die Band gab es außerdem so etwas wie einen “Moment der Erleuchtung”, wie Harry es nennt, als allen gemeinsam klar wurde, dass sie etwas viel Elementareres und Reineres im Sinn hatten, als jede Vorstellung von Glaubwürdigkeit oder Ansehen. Er bringt es ganz simpel auf den Punkt: “Wir scherten uns nicht mehr darum, cool zu sein.” Charles führt ihren ersten Auftritt beim Glastonbury-Festival als weiteres Beispiel für ein Erlebnis an, das ihnen vor Augen führte, was sie eigentlich wollten. Nachdem sie ihr eigenes Set gespielt hatten, das sehr gut angekommen war, verbrachten sie den Rest des Tages damit, umherzuwandern und Alternative-Größen wie The Horrors oder Animal Collective zu sehen, was ihnen gefiel. Doch es war der gigantische ‘Gottesdienst’ von Bruce Springsteen, der Höhepunkt auf der Hauptbühne, der sie am meisten packte. “Dabei sind wir nicht mal besonders große Springsteen-Fans”, sagt er. “Aber es sind solche Erfahrungen, die wir über die Jahre immer mal wieder hatten, wo der Funke derart überspringt, die öffnen einem die Augen dafür, worum es eigentlich geht.”
Er fügt hinzu: “Lieber als das neue Indie-Zeug hören wir immer noch hauptsächlich Bands, die irgendwann mal unverkennbare Spuren hinterlassen haben, was auch nach wie vor unser Ziel ist. Es interessiert uns nicht mehr, ob wir irgendeinem Zeitgeist entsprechen. Das ist uns wirklich egal. Wir möchten etwas in unseren Augen Reineres erreichen. Wir versuchen, wenigstens einen Song zu schreiben, der, sagen wir mal in 20 oder 30 Jahren gern beim Karaoke gesungen wird. So etwas streben wir an, nicht unbedingt, dass eine Zeitschrift wie Wire über uns berichtet oder so.”
Mit dieser neuen Einstellung, gut ausgeruht und wieder fest im normalen Leben verwurzelt setzten sich Charles und Harry nach der längsten Pause, die ihnen seit einer ganzen Weile vergönnt gewesen war, wieder zusammen, um neue Songs zu schreiben. Dieses Mal gab es jedoch, im Gegensatz zu den Sessions zum vorherigen Album, selbst auferlegte Beschränkungen. “Bei der Arbeit an ‘Ritual’”, sagt Harry, “hieß es noch ‘Lasst uns mal einen ganzen Haufen Sounds zusammenschmeißen und dann einfach damit rumspielen.’ Diesmal sollten die Songs auf viel zurückhaltendere Weise entstehen. Also haben wir mit einem schrottigen Synthesizer-Sound und einer Drum Machine gearbeitet, sonst nichts.”
Die daraus hervorgegangenen minimalistischen Demos – die Art Demos, die “dem Plattenlabel Angst machen” grinst Charles – bestanden demzufolge aus Songs, die gut genug sein mussten, um auch ohne den kleinsten Produktions-Firlefanz ihre Wirkung zu entfalten. Und sie entstanden schnell und natürlich. “'First Time Caller' war einer der ersten Tracks und stellte sich als wesentliches Stück heraus. Dann schrieben wir noch ‘Mother Tongue, There Goes Our Love Again’ und noch eins innerhalb von ungefähr einem Monat”, sagt Charles. “Also hatten wir im Grunde 4 Songs als Demo, von denen drei Singles werden – ganz anders als beim letzten Album, als die kommerzielleren Sachen später, erst gegen Ende kamen. Es so rum zu machen ist sehr produktiv, denn dann ist man in der Lage, noch ein paar Balladen und so etwas zu schreiben, um alles abzurunden und steht nicht unter dem Druck, sich noch was Kommerzielles ausdenken zu müssen. Songs wie ‘Change’ und ‘Heaven Wait haben wir später im Studio geschrieben. ‘Heaven Wait’ besteht eigentlich aus den Akkorden von ‘Mother Tongue’ und dem Riff von ‘First Time Caller’ die wir zu etwas völlig Anderem zusammengesetzt haben. So etwas kann man sich aber nur erlauben, wenn man die größeren Songs schon unter Dach und Fach hat.”
Ein weiteres richtungsweisendes Schlüsselelement bei der Entstehung des dritten White Lies-Albums war die Wahl des Produzenten. Ed Buller hatte “To Lose My Life” produziert, am nächsten Werk der Band jedoch nicht mitgearbeitet. Charles meint: “Das Label will immer, das man jedes Mal jemand Neues dazuholt”. Aber White Lies waren sich so sicher, was sie erreichen wollten, dass sie genau wussten, wen sie dazu brauchten. Nur drei Monate nach Beginn der Arbeit am Album kam Ed wieder an Bord. “Wir behandeln ihn wie ein zusätzliches Bandmitglied”, sagt Charles. “Er hat bestimmt nicht das letze Wort, aber wir legen Wert auf seine Meinung. Er leistet einen großartigen Beitrag zu den Songs.”
Harry: “Wir haben ungefähr drei Monate lang im Haus seiner Familie im Norden Londons gearbeitet. Davon haben wir vielleicht 2 Monate lang nur mit dem Feinschliff der Songs verbracht. Wir kamen dort mit fünf Tracks an, von denen wir dachten, die seien eigentlich fertig, doch er machte uns einen Strich durch die Rechnung und ließ sie uns noch mal überarbeiten. Manchmal konnten wir fast wieder von vorn anfangen. Wir haben uns mit ihm durch unzählige Versionen von ‘Getting Even’ gearbeitet. Das Arrangement, das er dafür gemacht hat, ist Wahnsinn. An dem Stück haben wir uns auf jeden Fall am meisten abgerackert.”
Mitten im Schreibprozess entstand auf einen Schlag auch der Song, der “das ganze Album musikalisch und textlich zusammenfassen” sollte. Deshalb ist ‘Big TV’ sowohl der allererste als auch der Titeltrack des dritten White Lies-Albums. “Es beschäftigt sich mit Gedanken an ‘Erfolg’ und daran, ‘es zu schaffen’, aber auch damit, was Erfolg für ein modernes Leben bedeutet”, sagt Charles. “So ist einfach dieses Bild eines großen Fernsehers, des ‘Big TV’, zum Symbol für das Thema des Albums geworden: es ist also gewissermaßen oberflächlich, nichtssagend. Das Album erzählt die Geschichte eines Mädchens, das eine kleine Stadt in der europäischen Provinz hinter sich lässt und in einer großen amerikanischen Stadt landet. ‘Big TV’ bildet dann den Rahmen. Wir sehen das Mädchen in einem Apartmentgebäude, wahrscheinlich eine echt schäbige Bude, und sie hat ihr ganzes Geld für ein kleines Bett und einen großen Fernseher ausgegeben. Das ist alles, was sie hat…”
Der Text dieses ersten Songs auf dem Album ist zweifellos bemerkenswert. Doch auch wenn all das düster klingt, legt Charles, der alle Texte für die Band schreibt, Wert darauf zu betonen, dass eigentlich das Gegenteil der Fall ist. Für ihn bedeutete die Auszeit der Band Gelegenheit, “alten Freunden wieder näher zu kommen und neue kennenzulernen”. Da die Texte zu den erhebenden Melodien passen mussten, wurden sie letztlich viel positiver, direkter und einfacher. “Tricky To Love” ist, wie die Band anmerkt, der White Lies-Song, der mit dem bisher kürzesten Text überhaupt auskommt.
Charles drückt es folgendermaßen aus: “Wir haben das leicht Nick Cave-mäßige der letzten Alben etwas zurückgefahren, denn so sehe ich das Leben einfach nicht mehr. ‘Mother Tongue’ zum Beispiel ist ein Liebeslied über Sprache. Das finde ich momentan interessanter, als über den Tod oder Ähnliches zu schreiben. Ich bin 25, nicht mehr 18.”
Und genau das ist “Big TV”. Die Musik junger Erwachsener voller Selbstvertrauen, die mit ihrer Vergangenheit im Reinen sind und nun zielstrebig in die Zukunft blicken und Großes erreichen wollen.
 
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