Manchmal muss man seine Komfortzone komplett aufgeben, um herauszufinden worauf es im eigenen Leben wirklich ankommt. Das ist wohl die Kurzform dessen, was dem Sänger und Produzenten Damian Homat Ardestani alias XOV seit der Veröffentlichung seines Debütalbums „Wild“ 2015 passiert ist. Gleich im ersten Jahr des Release hörten auf Spotify stolze drei Millionen Menschen sein Album und insgesamt wurde es über 45 Millionen Mal dort gestreamt. Das i-D-Magazin nannte ihn „the the dark horse of Swedish pop”. Neuseelands Superstar Lorde nahm XOV unter ihre Fittiche. Sie gab ihm die Möglichkeit auf dem von ihr kuratierten Soundtrack von „Die Tribute von Panem: Mockingjay Part 1“ einen Song beizusteuern. Statt des von ihr bevorzugten Lieds „Lucifer“ – was außerdem der Titelsong seiner ersten, gleichnamigen EP war – entschied sich das Filmstudio für den R’n’B-Banger „Animal“. Der wie Lucifer zum Hit wurde.
Gute drei Jahre sind seitdem vergangen. Jetzt ist der 32-jährige Musiker aus Schweden zurück mit seinem zweiten Album. Doch bis er die neuen Songs schreiben konnte, durchlebte er Dinge, denen wohl nur die wenigsten Künstlerinnen und Künstler in ihrem Leben begegnet sind. Alles begann 2015, im selben Jahr als auch seine Debüt-LP „Wild“ erschien. XOV hatte gerade mit seiner guten Freundin Rebecca Reshdouni zusammen die Hilfsorganisation „I am you“ gegründet. Eine gemeinnützige Bewegung, die sich dafür einsetzt junge Menschen als freiwillige Helfer in der Flüchtlingskrise zu aktivieren. Die Freiwilligen helfen dabei, den Geflüchteten in Griechenland (u.a. in Lesbos) eine sichere Unterkunft zu gewährleisten, sie mit Essen zu versorgen, ein offenes Gespräch anzubieten und den Geflüchteten sogar die Möglichkeit zu geben, sich weiterzubilden und kreativ zu werden. Wenn man sich XOVs Lebensgeschichte ansieht, ahnt man woher seine Motivation für ein solch selbstloses Projekt kommt. XOV wurde im Iran geboren, doch während des Golfkriegs floh seine Familie mit ihm nach Schweden. XOV wuchs also selbst als Flüchtling auf, lebte in Tensta, einem Einwandererviertel von Stockholm. XOV kennt den Kampf gut, ein Fremder in einer neuen und ungewohnten Umgebung zu sein.
Wenn man also bedenkt, dass all das parallel geschah während XOV als Künstler gerade dabei war seine Karriere voranzutreiben und ein großer Name im internationalen Pop-Geschäft zu werden, erkennt man wie groß die Belastung für den Musiker damals war. XOV musste zwei völlig gegensätzliche Welten miteinander verbinden. In der einen Woche war er in Los Angeles und schüttelte Hände auf Business-Events in großen Anwesen. In der anderen Woche war er verantwortlich für die Führung seiner Organisation in einem Flüchtlingslager in Griechenland und sah wie Menschen auf engem Raum täglich unter harten Bedingungen ums Überleben kämpften. Dieser extreme, innere Konflikt war, wie XOV selbst sagt, die bislang größte Herausforderung seines Lebens. Er führte eine Art Kampf mit sich selbst und im Zuge dessen wollte er alles Falsche und Oberflächliche aus seinem Leben verbannen. Er konzentrierte sich nur noch darauf, welche Werte wirklich zählen für ihn. Gleichzeitig war Musik zu schreiben und aufnehmen zu wollen wohl seine einzige Konstante. Und so entstanden XOVs neue Songs. Er nahm sie über viele Monate in L.A., New York, Stockholm, Berlin und an verschiedenen Orten in Griechenland auf – dort, wo er durch die Flüchtlingshilfe Zeuge größter Verzweiflung und Hoffnung gleichermaßen geworden war.
Genau wie „Lucifer“ und „Wild“ ist die neue Musik von XOV sehr persönlich, ja autobiographisch geworden. Die erste Single seiner neuen NEBULA EP heißt ATARAX, ein poetischer Banger über Angstabbau und den Weg durch den “Dschungel der Existenz”.
Er singt von seinen Bemühungen darum endlich rauszukommen aus der Dunkelheit und sein volles Potential als Mensch ausschöpfen zu können. „Higher Vibration“ ist eine catchy Uptempo-Hommage an Berlin. Der Stadt, die XOV gerade wegen seiner unperfekten Schönheit liebt und für ihre Rohheit. Im Pre-Chorus wird die raue Schöne sogar mehrmals namentlich erwähnt. Seine Bewunderung für HipHop – immerhin hat XOV in seiner 20ern selbst viel gerappt – und R’n’B gemischt mit 80er-Synthie-Pop zeigt sich immer wieder bei der neuen Platte. Nur klingt sein selbst produzierter Sound dieses Mal deutlich schneller, die Texte sind, wie er selbst findet, besser auf den Punkt gebracht und seine Liebe für bildhafte Vergleiche, ungewöhnliche Metaphern und Symbole hat nochmals zugenommen bei allen neuen Stücken.
Für XOV handelt diese Platte von all dem, was ihm dabei geholfen hat, seine dunkelsten Gefühle zu überstehen. Ein Plädoyer fürs Loslassen von all den Dingen, die einen zurückhalten im Leben. Und dafür einzustehen, sein wahres Selbst zu sein. Sogar dann, wenn das bedeutet, dass man eben von Zeit zu Zeit in sehr gegensätzlichen Welten leben muss. Sogar noch dann, wenn das Leben in einer dieser beiden Welten alles andere als einfach und bequem ist. Doch im Falle von XOV können beide Lebenswelten voneinander profitieren. Denn er hat es geschafft, dass er mit dem Geld und mit der Bekanntheit durch seine Musik denjenigen etwas Gutes zurückgeben kann, die gar nichts mehr haben. Und es ist möglich, dass der Schmerz und der Kampf derer, die nichts mehr haben ihn dazu inspiriert, Gutes zu tun – und vielleicht tut es das sogar bei noch viel mehr Menschen.