Diese eindringliche Stimme, sie kommt aus einer entlegenen Ecke irgendwo in den Bergen von Arizona – und sie gehört Zella Day, einer 20-Jährigen, die mit ihren gleichermaßen von Gitarren und elektronischen Elementen getragenen Indie-Popsongs eine ganz eigene Welt kreiert, eine magische Parallelwelt der Imagination, der Mythen und Legenden.
Nachdem Zella sich schon als kleines Mädchen auf eigene Faust den Umgang mit der Gitarre beigebracht und als Teenager erste Songs geschrieben hatte, feilte sie in den letzten Jahren immer intensiver an ihrem Können als Songschreiberin: Ihre oftmals in Sepiatönen gehaltenen Stücke basieren zwar durchaus auf jenen Geschichten, die das Leben schreibt, aber auch ihr Hang zu uralten Wüsten-Legenden, zu Spaghetti-Westernstreifen und dem mit psychedelischen Substanzen flirtenden Kalifornien der Sechziger ist ganz klar zu spüren. Auf ihrem nun erscheinenden Debütalbum “Kicker” unterlegt die inzwischen in L.A. lebende Musikerin ihre Anekdoten mit flirrenden Dream-Pop-Melodien und druckvollen Beats, was ihre Songs zugleich episch und absolut intim wirken lässt. “Rein spirituell sind diese Songs ganz klar in den Bergen des nördlichen Arizona verwurzelt”, berichtet Zella. “Sie haben meine Kreativität gewissermaßen vor allen anderen Einflüssen abgeschirmt; was in den Städten passierte, kam dort einfach nicht an. Die ganzen Figuren, die ich mir selbst ausgedacht habe, und die Kleinstadt, aus der ich stamme, mit all ihren Geheimnissen, sie sind letztlich das, was dieses Album ausmacht.” Und die wichtigste dieser Figuren hört dabei sogar auf den Namen “Kicker”.
"Ich war noch ein kleines Mädchen, verstand also gerade erst, was meine Existenz für den Rest der Welt um mich herum bedeutete, und ‘Kicker’ arbeitete mit Pferden auf einer Ranch: Anhand seines Lebens stellte ich mir vor, wie es wohl früher in unserer Gegend gewesen war – und tauchte ein in diese Welt der Legenden. Inzwischen ist mir klar, wie perfekt der Zeitpunkt war, an dem er in meinem Leben auftauchte, denn ohne zu wissen, was eigentlich passiert, entführte er mich immer tiefer in die Welt jener Visionen, auf denen meine Musik letztlich basiert. Der Titel des Albums ist also eine Verneigung vor demjenigen Menschen, der überhaupt erst das Licht in meine Traum-Parallelwelt gebracht hat.W
Während sie auf ihrem “Kicker”-Debüt die Realität immer wieder in ganz andere Zustände verwandelt, erscheint das Album, nachdem Zella in der medialen bzw. digitalen Realität schon unfassbar viel bewegt hat: Gleich neun Singles von ihr belegten bereits Platz 1 der Hype-Machine-Charts, während auch das US-amerikanische Interview Magazine, Vice, Nylon und Soma ihre Tracks nacheinander abfeierten. “Zella Days Musik hat so etwas Leuchtendes…”, hieß es bei Soma, “und dieses Licht ist in ihren Songs, die jedes Mal aus einem Guss wirken, überall zu verspüren.”
Um ihr Album aufzunehmen, setzte Zella auf ihre beiden langjährigen Wegbegleiter Wally Gagel und Xandry Barry – ein Producer/Songschreiber-Duo, das für seine Arbeit mit Best Coast bekannt ist: Gemeinsam mit den beiden verbindet sie elektronische Elemente und Gitarren zu eindringlichen Dream-Pop-Sounds, wobei Zella obendrein auch mit echten Streichern arbeitet, denn sie hatte die Gelegenheit, mit einem Orchester in die legendären Capitol Studios zu gehen. Wie schon von der passend betitelten Vorab-Single “Hypnotic” angekündigt (die zum Jahreswechsel Platz 1 des “Alt Nation Alt 18 Countdowns” im US-Radio belegte), vereint Zella Day auf “Kicker” üppige Arrangements mit intimen Einblicken, weshalb man sich diesen Songs einfach nicht entziehen kann
Im Verlauf des Albums verhandelt die 20-Jährige schwierige Themen wie Trennungen, zerrüttete Elternhäuser und Beziehungen, die Gift für einen sind, doch sie findet immer wieder die Balance, wenn sie auch von funktionierender Liebe, von Lust, von Faszination ganz allgemein berichtet. Die Bilder und Metaphern, die sie dafür findet, könnten auch in Gedichten auftauchen, und kombiniert mit ihrer eindringlichen Stimme und den unwirklichen Arrangements radiert Zella Day die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion, Licht und Dunkel, Schönheit und Schmerz ein für alle Mal aus.
Auf dem grandios schmerzerfüllten Eröffnungsstück “Jerome”, nach jener Bergbaustadt in Arizona betitelt, in der sich ihre Eltern einst das Ja-Wort gaben, entwirft die Sängerin ein fiktionales Porträt von der Bergarbeiter-Frau, nach der sie selbst später benannt werden sollte (“Der Song handelt von Zellas Geist und meiner Vorstellung davon, wie ihr Leben wohl gewesen sein muss”, berichtet sie. “Ich stelle sie mir als ein Mädchen vor, das schon ganz früh von der Familie zu einer Hochzeit gedrängt und danach verrückt wurde, als es erkannte, wie gefangen es war in diesem Leben, das andere für es geplant hatten.”) “The Outlaw Josey Wales” hingegen, dessen Arrangement neben ansteckenden Beats auch mit Streichern, Trompete und Klavier aufwartet, verneigt sich vor dem gleichnamigen Western von Clint Eastwood aus dem Jahr 1976 (dt. Titel “Der Texaner”). Und der wehmütige Gesang, gepaart mit einer verspielten Melodie, der “1965” dominiert, verschlägt einen in eine noch ganz andere Ära, wenn Zella den Wunsch zum Ausdruck bringt, in einer Zeit zu leben, als noch nicht alles um einen herum entzaubert war…
Zugleich befasst sich die Sängerin auf “Kicker” auch mit jenen Problemen, die das Heranwachsen mit sich bringt, so zum Beispiel auf dem aufgebrachten “Sweet Ophelia”, das den Verlust der eigenen Jungfräulichkeit ganz genau unter die Lupe nimmt, während “Mustang Kids” – ein von Synthesizern getragener, mit HipHop flirtender Track, auf dem ihr der aus Florida stammende Rapper Baby E assistiert – offenlegt, “wie es sich anfühlt, ein gelangweilter Teenager in einer Kleinstadt zu sein, in der man einfach nirgendwo hingehen und nichts machen kann”, wie Zella sagt.
Eine Beziehung, die sich als pures Gift für einen selbst entpuppt, ist das Thema von “High”, denn die einzige Basis dieser Liaison ist eine geteilte Vorliebe für Drogen und andere selbstzerstörerische Aktivitäten: "As long as we keep getting high / Keep burning like we’re never gonna die“. Dass sie jedoch auch Liebeslieder schreiben kann, die einen in der Magengrube treffen, beweist Zella schließlich mit “Jameson”, einem minimalistischen Track, der den Schmerz einer verzweifelten Liebe beleuchtet. Ihr persönlicher Lieblingssong von “Kicker” ist eine Klavierballade: “Compass” – eine kleine Hymne auf ihre Heimatstadt Pinetop in Arizona. “Als ich noch in Pinetop gelebt habe, hatte ich eigentlich nur einen Wunsch: Ich wollte weg von dort”, erzählt die Sängerin. “Aber jetzt, wo ich aus der Distanz einen Blick zurück werfen kann auf meine Heimat, da ist mir auch klar, wie sehr dieser Ort ein Teil von mir geworden ist.”
Nachdem Zella erstmals im Café ihrer Großmutter aufgetreten war, nahm sie schon als 14-Jährige ein erstes Album mit eigenen Kompositionen auf: Überraschend viele Leute wurden sofort hellhörig, und so machte sie sich schon wenig später immer häufiger auf den Weg nach Nashville, wo sie mit Musikern wie John Paul White von der Band The Civil Wars an weiteren Songideen feilte. Obwohl sie auf diesen Abstechern nach Nashville gerade als Songwriterin wahnsinnig viel gelernt hat, schwebte Zella schon bald ein ganz anderer, elektrifizierter Sound vor, der ganz anders klingt als das, was man in der Country-Metropole an jeder Ecke hört. Sie unterzeichnete einen Deal mit dem in Los Angeles ansässigen Tastemaker-Label B3SCI, wo im vergangenen Herbst ihre gleichnamige Debüt-EP erscheinen sollte – auf Vinyl und in limitierter Auflage. Als nächstes gründete sie mit Pinetop Records ihr eigenes Label unter dem Dach von Hollywood Records und machte sich nunmehr daran, das unwirkliche Klanguniversum von “Kicker” zu erschaffen…
Nachdem sie gerade erst eine Tour entlang der US-Westküste absolviert hat – und für große Festivals wie Lollapalooza bereits gebucht ist –, kann Zella es nun kaum abwarten, dass ihr “Kicker” erscheint: “Manchmal muss ich sogar die Augen schließen, wenn ich mir die Songs noch einmal anhöre, weil es mir so vorkommt, als würde ich damit all meine Geheimnisse ausplaudern”, sagt sie abschließend. “Aber natürlich bin ich auch stolz darauf, dass ich so mutig war und keine Angst davor hatte, so viel Wahrheit auf diesem Album zu präsentieren.”