Lebe gefährlich – das bringen Thin Lizzy schon auf dem Cover ihres Jahrhundert-Livealbums “Live And Dangerous” rüber.
Phil Lynott, Gott hab´ihn selig, auf den Knien. Die Spandex-Lederhose spannt sich im Schritt. Den Bass hat er wie ein Gewehr erhoben. Die Nieten seines Gürtels funkeln im Watt-starken Hallen-Schweinwerfer. Im Zwielicht seines Heiligenscheins tummeln sich Lynotts glorreiche Gitarren-Knappen Scott Gorham und Brian Robertson. Kein Cover hat die aus-dem-Bauch-Energie des Hardrock, sein unwiderstehliches Macho-Charisma besser eingefangen als das 1978 veröffentlichte “Live And Dangerous” von Thin Lizzy.
Aufgenommen in London und Toronto, kreisen die Lizzys dort hoch am Rock-Himmel, immer noch auf den Schwingen ihrer Mittsiebziger-Studioalben “Jailbreak”, “Johnny The Fox”, und “Bad Reputation”, letzteres aufgenommen 1977 mit Produzent Tony Visconti (David Bowie, T.Rex, Morrissey).
Auf “Johnny The Fox” setzten Thin Lizzy mit ungewöhnlichen Songs (“Old Flame”, dem romantischen “Sweet Mary”) einen Gegenpol zur Kracher-Single “The Boys Are Back In Town” aus ihrer Durchbruchs-LP “Jailbreak”(LINK), emanzipierte sich das irische Quartett von den gängigen Hardrock-Headbanger-Klischees, Power-Akkorden und Schrei-Refrains, machte seinen Brückenschlag zwischen Fleetwood Mac, keltischem Folk, Funk und Jimi Hendrix zum Markenzeichen. “Bad Reputation” schloss den Kreis mit dem Überhit “Dancing In The Moonlight (It´s Caught Me In Its Spotlight)”.
“Live And Dangerous” brachte diese ganze Glorie auf die Bühne und gilt heute als eines der 10 größten Livealben der Rockgeschichte (welche könnten die anderen sein? Geschätzter PURE-Leser, finden Sie es heraus.)
“Bad Reputation” war ein großer Hit", erinnert sich Tony Visconti auf seiner Webseite. "Es lag auf der Hand, dass wir eine zweite Chance für ein weiteres gemeinsames Album bekommen würden. Die Plattenfirma scharrte schon mit den Füßen, Thin Lizzy wollten mich als Produzenten aber dann hatte ich zuviel zu tun. Sie fragten mich inmitten eines Bowie-Albums und drei anderer Projekte: mit der Steve Gibbons Band, den Radiators und Rick Wakeman, und ich war auch noch dabei, mein eigenes Label Good Earth zu lancieren. Wir trafen uns trotzdem in meinem Studio, und Phil erwähnte, dass Thin Lizzy stapelweise Live-Tapes gemacht hätten, warum produzierten wir gemeinsam also nicht ein vernünftiges Live-Album? Das sollte doch in zwei Wochen erledigt sein. Haha! Die nächsten zwei Monate hatte ich nichts anderes als “Live And Dangerous” um die Ohren. Wir hörten und hörten und hörten. Mindestens 30 Stunden Live-Material galt es durchzuhören, es war so viel gutes Zeug dabei, dass die Auswahl schwer fiel. Während wir dabei waren, fragte mich Phil, ob wir nicht mal ein paar der Vocals aufhübschen könnten – da ist nichts dabei, es ist normal, auf Live-Alben nachzubearbeiten, technische Schwächen auszubessern. Schwer daran ist, einen Studiogesang so direkt und überzeugend rüberzukriegen wie einen Live-Gesang."
“Mit Phil lief es so super, so dass er am Ende alle Vocals neu einsang. Je länger wir da dran saßen, desto mehr fiel uns auf: ein paar Bassnoten, die Phil beim Auftritt vergessen hatte. Beim Bass hörte man dann den Overdub sehr viel mehr heraus, so dass wir am Ende auch alle Bassparts neu einspielten. Darauf meldeten sich Scott Gorham und Brian Robertson…” Zum Glück war wenigstens Drummer Brian Downey zufrieden mit seiner Live-Einspielung. Nie hat Visconti verschwiegen, dass “Live And Dangerous” zu weiten Teilen im Studio nachproduziert worden ist (wie auch diverse andere Rock-Livealben der 1970er, darunter “Alive” von Kiss). “Ungeachtet des notwendigen Getrickses klingt die Platte sehr real”, sagt Visconti", “sie repräsentiert elektrifizierende Momente vor einem begeisterten Publikum und die zweite Chance, es im Studio richtig gut hinzukriegen.” “Live And Dangerous” fühlt sich verdammt live an, enthält mehr Energie und Kraft als die Studioalben {Thin Lizzys}, die an sich schon sehr dynamisch sind", schreibt der (ja gern nörgelige) AllMusic-Guide. "Es ist diese Energie, gemeinsam mit der vollendeten Songauswahl, die “Live And Dangerous” zu einem vollendeten Live-Klassiker gemacht hat".
Die im Januar 2011 erschienene Deluxe-Ausgabe des Meilensteins besteht aus zwei Audio-CDs und einer DVD. Sämtliches Material der Audio-CDs überarbeiteten Andy Pearce und Matt Wortham in den Londoner Wiredmasters-Studios. Neben den 17 Tracks der Original Doppel-LP sind die Outtakes “Opium Trail” und “Bad Reputation” vertreten. Die DVD zeigt eine Thin Lizzy Show von 1978 aus dem Londoner Rainbow Theatre, bestechend: das Intro mit stimmungsvollen Aufnahmen vom Bühnenaufbau. Die Namen der Tour-Crew listet das Booklet mit tollen Bühnenfotos und Linernotes vom britischen Metal-Journo und Autoren Malcolm Dome.