Die Vier letzten Lieder von Richard Strauss sind so etwas wie die Visitenkarte eines Soprans: »Zeige mir, wie du dem Tod, der Erinnerung und dem Trost begegnest, und ich sage dir, was für eine Sängerin du bist.« Nun, endlich, hat sich Anna Netrebko dieser musikalischen Gretchenfrage gestellt – und ihre Antwort ist: berauschend.
Gemeinsam mit der Staatskapelle Berlin und dem Dirigenten Daniel Barenboim stellt die Ausnahmesängerin ihre Vielschichtigkeit unter Beweis und fächert Strauss’ Spätwerk in unterschiedlichen Gefühlsebenen auf. Da ertönt diese typisch abgründige Tiefe ihrer Stimme, die uns in das Reich der Toten blicken und erschaudern lässt. Gleichzeitig flackert bei Netrebko dieses ewige Licht, das Strahlen und Leuchten des Lebens auf. Ihr gelingt es, gleichermaßen zu trauern und zu hoffen, zu erschrecken und zu beruhigen, zu umarmen und Gänsehaut zu erzeugen. Die Visitenkarte der russischen Sängerin fällt so morbid wie mondän aus, sie klingt nach Fin de Siècle und nach unserer Gegenwart. Anna Netrebko verwandelt jene Lieder, die Richard Strauss 1948 als inneren Weltabschied in der Schweiz komponierte, zu einem persönlichen Seelenspiegel und zu einem zutiefst sinnlichen Ereignis.