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LIEBE UND DUNKELHEIT
»Es gibt ein Reich, wo alles rein ist. Es hat auch einen Namen: Totenreich.« So singt Ariadne in Richard Strauss’ Oper, nachdem Theseus sie auf Naxos verlassen hat. Fast alle Opernheldinnen der vorliegenden Sammlung betreten am Ende dieses dunkle Reich – als letzte Konsequenz ihrer Taten. Doch Ariadne selbst, so will es der Mythos, wird von Bacchus gerettet, dem Gott des Weines, und schwingt sich an seiner Seite aus tiefster Verzweiflung empor zu einem wahren Rausch der Liebe.
Die Liebesgeschichten der beiden Verdi-Heldinnen auf diesem Album sind von persönlichen Risiken überschattet und zeigen die Frauen als Opfer politischer Machtspiele: Aida, eine äthiopische Prinzessin und Gefangene der kriegslüsternen Ägypter, liebt heimlich den Heerführer ihrer Feinde und wird von ihrem Vater gezwungen, diese Beziehung für seine Zwecke auszunutzen. Und die französische Prinzessin Elisabeth wird mit dem wesentlich älteren König von Spanien verheiratet und muss deswegen ihre Gefühle für seinen Sohn verleugnen, ihren ursprünglichen Verlobten. In ihrer hier zu hörenden Arie am Grab von Karl V. bekennt Elisabeth, ihr Herz sehne sich nur noch nach »Frieden im Grab«; am Ende sind jedoch Enttäuschung und Einsamkeit ihr Los, während Aida freiwillig in das Reich des Todes eingeht. Beide Rollen hat Anna Netrebko erst in den letzten Jahren in ihr Repertoire aufgenommen: 2017 gab sie bei den Salzburger Festspielen ihr umjubeltes Debüt als Aida, und Elisabeth sang sie erstmals im September 2020 am Bolschoi-Theater in Moskau.
Die meisten dieser Frauen sind in den letzten Momenten ihres Lebens ganz allein: die leidgeprüfte Lisa in Pique Dame, die von dem herzlosen Hermann zunächst ausgenutzt und später verlassen wird (Netrebko nennt sie lachend »eine echte Russin – sie beklagt sich die ganze Zeit«); Puccinis gutgläubige Butterfly, die sich bis zum Schluss etwas vormacht und in »Un bel dì vedremo« zärtlich jenen Tag beschwört, an dem ihr »Ehemann« zu ihr zurückkehren wird; und natürlich Dido, die nach der überstürzten Abreise des trojanischen Helden Aeneas den Freitod wählt. Auf der Bühne hat Netrebko die Königin von Karthago zwar nie verkörpert, aber sie erinnert sich noch gut an eine Studentenaufführung am Konservatorium von Sankt Petersburg, in der sie Belinda war, die Vertraute der Königin. Damals habe sie beschlossen, »mindestens einmal im Leben Dido zu singen, denn diese Musik ist einfach herzzerreißend schön«. Und sie bedankt sich beim Dirigenten Riccardo Chailly, der ihr bei der Erarbeitung dieser Partie geholfen habe, »bis ich verstanden hatte, wie ich diese Figur musikalisch anlegen muss«.
Zwei andere tragische Heldinnen hat Netrebko hingegen schon mit großem Erfolg auf der Bühne gesungen: die Schauspielerin Adriana Lecouvreur in Cileas gleichnamiger Oper und Puccinis Manon Lescaut. Die großherzige Adriana stirbt durch die Hand einer eifersüchtigen Rivalin, die ihr einen Strauß vergifteter Veilchen schickt, und genau diesen Blumen widmet Adriana ihre fahle, geisterhafte Arie »Poveri fiori«. Die launische Manon hingegen scheint sich von Anfang an selbst zerstören zu wollen. In einer schwermütigen und fast schon trostlosen Arie lehnt sie sich gegen den nahenden Tod auf und beklagt, sie sei »allein, verloren, verlassen«. Darin zeigt sich aber nur – und zum letzten Mal – ihre ganze Selbstbezogenheit, denn ihr treuer Liebhaber Des Grieux hat sein Leben ruiniert, nur um bei ihr bleiben zu können. Wenige Minuten nach ihrer Arie stirbt sie in seinen Armen.
»Ich werde wirklich eins mit einer Figur, wenn ich im Kostüm und mit den Kollegen auf der Bühne stehe«, sagt Netrebko. Bei den Aufnahmen für diese sehr unterschiedlichen Arien, so die Sängerin, »musste ich meine Gesangstechnik anpassen, von Verdi zu Wagner, Strauss und Tschaikowsky. Die richtige Stimme zu finden und ein genaues Partiturstudium sind entscheidend, um sich in eine Figur hineinversetzen zu können. Die Komponisten wussten ganz genau, was sie wollten, und das steht alles in den Noten. Ich muss sie nur genau lesen und die Figuren zum Leben erwecken.« Auch dabei profitierte die Sopranistin von Chaillys musikalischer Unterstützung: »Er hat mich durch diese Musik geleitet. Bei jeder dieser unterschiedlichen Arien war er sehr freundlich und hilfsbereit.«
Ihr Debüt als Wagner-Sängerin gab Anna Netrebko als Elsa in Lohengrin im Mai 2016 an der Dresdner Semperoper und wurde dafür frenetisch gefeiert. Eine Kostprobe aus diesem Werk gibt sie hier mit »Einsam in trüben Tagen«: Statt sich zu den gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen zu äußern, erzählt Elsa von Brabant voller Begeisterung von einem Ritter in strahlender Rüstung, der ihr im Traum erschienen sei und ihr seine Hilfe angeboten habe. In Tannhäuser thematisiert Wagner am Beispiel mittelalterlicher Minnesänger den Konflikt zwischen körperlicher und keuscher Liebe, und in ihrer vor Vorfreude geradezu übersprudelnden Arie grüßt Elisabeth die Halle, in der die Minnesänger ihre Wettbewerbe austragen, denn sie ist sich sicher, dass der gerade zurückgekehrte und von ihr geliebte Ritter Tannhäuser am Ende den Sieg davontragen wird. Leider erfüllen sich die Hoffnungen dieser beiden Wagner-Heldinnen nicht. In Wagners Version der aus dem Umkreis der Artus-Sage stammenden Geschichte von Tristan und Isolde sind Tod und Liebe schließlich so untrennbar miteinander verknüpft, dass die beiden Leitmotive dieses Albums auch im Titel des letzten Stücks zusammenkommen: dem »Liebestod«, Isoldes ekstatischer Bekundung ihrer Gefühle für Tristan, nach der sie leblos über seiner Leiche zusammenbricht. Dieses Stück aufzunehmen, erzählt Anna Netrebko, »war für mich als Musikerin einer der schönsten Momente überhaupt. Bei der Aufnahme bin ich regelrecht geflogen. Es war das reine Glück, und ich war ganz und gar im Einklang mit der Musik.«
Kenneth Chalmers
LOVE AND DARKNESS
“There is a realm where all is pure. It has a name: The Realm of Death,” sings Ariadne, abandoned on Naxos, in Richard Strauss’s opera. That realm of darkness is one that most of the operatic heroines in this collection of arias find themselves entering as the ultimate consequence of their actions. But Ariadne herself, in this telling of the myth, is rescued by the god of wine Bacchus, and rises from the depths of despair to flights of ecstatic love. The love experienced by the two Verdi heroines featured here, however, is at the cost of personal risk, and makes the characters pawns in political games: Aida, an Ethiopian princess captured by war-mongering Egyptians, secretly involved with the enemy commander and coerced into exploiting that relationship; and Elisabeth de Valois, the French princess married to the ageing King of Spain who has to suppress her feelings for his son, her original intended husband. Elisabeth, standing before the tomb of Charles V of Spain, may invoke “the peace of the grave” as her heart’s one desire in the aria heard here, but she has to resign herself to disappointment and solitude, and it is Aida who chooses to enter the Realm of Death. Anna Netrebko has added both roles to her repertoire in recent years: she made a triumphant debut as Aida at the 2017 Salzburg Festival, and sang her first Elisabeth at the Bolshoi in Moscow in September 2020.
Many of these women find themselves alone in their final moments: the long-suffering outsider Lisa in Pique Dame (The Queen of Spades), exploited and then abandoned by the cynical Hermann (Netrebko laughingly characterizes the put-upon heroine as “really Russian – she’s always upset”); the trusting Butterfly in Puccini’s opera, who lovingly and deludedly paints herself a picture of the day of her husband’s return in “Un bel dì vedremo”; and Purcell’s Dido, the Queen of Carthage who embraces death after the abrupt departure of the Trojan hero Aeneas. Netrebko has not sung Dido on stage, but has fond memories of playing the queen’s companion Belinda in a student production of the opera at the St Petersburg Conservatory, which sparked a desire “at least once in my life to sing Dido, because it’s heart-breaking music”. Here she pays tribute to conductor Riccardo Chailly’s help with understanding “exactly what I have to do musically to make this character right”.
Two heroines that she has, in contrast, sung on stage to great acclaim are the actress Adriana Lecouvreur in Cilea’s opera and Puccini’s Manon Lescaut. The generous-hearted Adriana falls victim to a jealous rival, and is killed by the poison-laced violets she addresses in her pale, ghostly aria “Poveri fiori”, but the wayward Manon seems bent on self-destruction from the start. While she rages against approaching death in an aria of haunting desolation and bemoans her “alone, lost and forsaken” state, it is one last display of her characteristic narcissism – her devoted lover Des Grieux has ruined his life following her, and within minutes she dies in his arms.
Netrebko recognizes that “I really become a character when on stage in costume with colleagues”, and in the recording studio, as she points out, “as all these pieces are very different, I needed to even change my vocal technique from Verdi to Wagner to Strauss and Tchaikovsky. Th e vocal approach and a very precise reading of the musical text is the most important thing, to get into the character, because the composers already knew what they wanted to do and everything that they want to do is there. For me, it’s just a duty to read it in the right way and to portray it.” In this aim, again, the musical support of Chailly was a decisive element: “He was guiding me through this music. He was so gentle and really helpful in every one of these different arias.”
Anna Netrebko made her Wagner debut as Elsa in Lohengrin at the Dresden Semperoper in May 2016, and gives a taste of that enthusiastically-received performance here with “Einsam in trüben Tagen”, in which Elsa von Brabant, instead of refuting the charges against her, gives an ecstatic account of the knight in shining armour who appeared to her in a dream and comforted her. The conflict between sacred and profane love is the theme of Tannhäuser, set in the world of medieval minstrel-knights, and in music bubbling with anticipation Elisabeth salutes the Minstrels’ Hall where the knights compete in song, and looks forward to the triumph of the newly returned knight Tannhäuser, whom she loves. Neither of these two Wagner heroines lives to see their hopes fulfilled, but in the composer’s opera on the Arthurian tale of Tristan and Isolde, death is explicitly twinned with love, and the guiding themes of this disc together in a piece whose very name combines the two concepts, the rapturous “Liebestod” (Love-Death), Isolde’s outpouring of love as she sinks lifeless on the body of the dead Tristan. Recording it was, in the soprano’s words, “one of the happiest moments for me as a musician. I was flying when I was recording that, blissfully happy, in harmony with the music.”
Kenneth Chalmers